Die Gaskrise ist nicht vorbei

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die gerne mit Jubelmeldungen verteilten Charts mit sinkenden Gas- und in der Folge Strompreisen zeigen leider nur, wie zerrüttet diese „Märkte“ sind. Tatsächlich ist die „physikalische“ Lage relativ einfach zu beschreiben: Durch die massiven Aufkäufe der letzten Monate, mit denen vor allem die Speicher gefüllt wurden, sind insbesondere LNG-Kapazitäten aus der ganzen Welt nach Europa umgeleitet worden. Satellitenbilder zeigen massenhaft LNG-Tanker, die vor den europäischen LNG-Terminals auf Löschung warten.

 

Goldgräberstimmung – aber ist das gut? Nun sind die Speicher nämlich voll und der Winter ist überraschend warm. Folge: Dieses Gas wird – momentan! – nicht gebraucht und es kann auch nicht eingespeichert werden. Da die Tanker sehr teuer und überwiegend gemietet sind, sitzt so mancher Händler auf einer Kostenfalle und muss das Zeug nun irgendwie los werden. Dadurch ist der kürzeste „Marktpreis“, der Spotmarkt zur sofortigen Lieferung („next hour“, Chart1), kurzfristig sogar negativ geworden. Da wurde also von einigen dafür bezahlt, dass man das Gas einfach nur los wird. Selbst der Tagespreis („day ahead“, Chart2) ist in der letzten Woche stetig gesunken, bis auf ein Niveau von ca. 26 EUR/MWh. Wie immer überträgt sich der Gaspreis sofort auf den Strompreis, was angesichts der geringen Menge der Gasverstromung trotzdem so überflüssig wie Zahnschmerzen bleibt. Aber immerhin ist der Strompreis mal in die andere Richtung gelaufen, kurzfristig hat er sogar 10 EUR/MWh unterschritten (Chart3).

 

Auch die langfristigen Preise laufen seit Wochen nach unten. So sind die Terminpreise für 11/2022 (Chart4) von in der Spitze 350 EUR/MWh auf jetzt ca. 100 EUR/MWh gesunken, also mehr als eine Drittelung des Preises (Chart4). Die Preise für 03/2024 (Chart5) haben sich von ca. 250 EUR/MWh auf ca. 125 EUR/MWh halbiert. Alles entspannt sich also, kurzfristig muss Gas verschenkt werden, langfristige Preise dritteln oder halbieren sich. Der Trend stimmt, weiter so. Oder?

 

Leider zeigt das nur, dass wir mit diesen Spot- und Terminmärkten kaum geeignete Instrumente haben, um langfristige Lieferverträge mit solchen trägen Infrastrukturen zu bepreisen und von Entspannung kann natürlich keine Rede sein. Die mehrjährigen Charts der Terminkontrakte für 11/2022 und 03/2024 zeigen das: Hier hatten wir über Jahre ein Niveau von 15 EUR/MWh. Die Preisschwankungen im Jahr 2021 sind in den Charts gar nicht mehr erkennbar, so gleichmäßig ist das verlaufen.

 

Das zuletzt rückläufige Niveau dieser Preise hat nun zu einer „Beruhigung“ auf das ca. sechs- bis achtfache geführt. Nur, weil diese Preise also durch die enorme Nachfrage zur Speicherfüllung komplett hysterisch reagierten und nun wegen des aktuellen Überangebots ebenso hysterisch zurück kommen, sollte niemand von einer „Beruhigung“ ausgehen. Noch ist es so, dass die LNG-Kapazitäten die Liefermengen über die russischen Pipelines nicht dauerhaft kompensieren können. Das Überangebot ist ein temporärer Effekt und die Terminmärkte signalisieren bisher nicht mal für das erste Quartal 2024 eine Normalisierung.

 

Logistik, Einkauf und langfristige Lieferbeziehungen sollten dingend strategisch und systematisch auf europäischer Ebene gemeinsam sowohl geplant als auch verhandelt werden. Die momentane Logik, mit möglichst viel Geld (auch „Wumms“ genannt) in diese „Märkte“ zu gehen, damit marktwirtschaftliche Reaktionen das Thema bereinigen, könnte sowohl preislich als auch zeitlich Resultate liefern, die uns kaum gefallen dürften. Ob diese Preisspitzen so überhaupt notwendig waren, darf man bereits bezweifeln. Das viele Geld erzeugt aber zugleich so heftige Reaktionen im System, dass wir nicht mal sicher sein können, ob solche Preisexzesse sich bei der nächsten temporären Knappheit wiederholen.

 

Ein träges System über kurzfristige Geldanreize mit Börsenmechanismen als Preismechanismus zu triggern, ist nach etwas komplexeren ökonomischen Theorien keine kluge Option. Diese Krise darf klüger gemanagt werden und das Design dieses „Strommarkts“ darf dabei auch mal weg. Dann kann man vielleicht auch irgendwann mal von Entspannung sprechen.

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