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Straumanns Fokus am Wochenende - Kabinett der Kriminellen

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦   

KOMMENTAR

 

Davon war hier schon mehrfach die Rede: Dass der Westen im Ukraine-Krieg den finalen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur ausgerufen hat, während in manchen sogenannt demokratischen Staaten der westlichen Welt alles dafür unternommen wird, die Demokratie zu verludern. Die neueste Masche in diesem absurden Theater besteht darin, dass straffällig gewordene Ex-Regierungschefs, die sich mit dem Verlust ihrer höchsten Exekutivämter auch dem Verlust der Immunität ausgesetzt sehen, zurück in die Regierungsspitze drängen, um den Bemühungen ihrer Strafverfolgungsbehörden zu entgehen. Die Palette der Delikte ist dabei immer dieselbe: Korruption, Steuerhinterziehung und – um die Dreifaltigkeit des Machismo zu komplettieren – sexuelle Nötigung. Sie können halt nicht aus ihrer Haut, diese Lichtgestalten des Rechtspopulismus und des Neonationalismus. Sie sind alle nach demselben Muster gestrickt.

 

Im Wahlkampf versprechen sie Freiheit, Demokratie, Wohlstand und Wiederauferstehung einer darnieder liegenden Nation; in Tat und Wahrheit aber geht es ihnen darum, nicht im Gefängnis zu landen. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Ein – zugegeben kolportiertes – Zitat von Benjamin Netanjahu, dessen Authentizität wir nicht überprüfen können, bringt es auf den Punkt: für ihn gebe es nur drei Optionen, «den Tod, den Knast oder die Wiederwahl.» Se non è vero, è ben trovato.

 

Drei Beispiele von aktuellen Wahlgeschäften bieten sich zur Illustration an. Beginnen wir für einmal mit dem erfreulichen: In Brasilien hat es nicht geklappt. Luiz Lula da Silva hat Jair Bolsonaro auf der Ziellinie abgefangen. 50,9 zu 49,1 Prozent der Stimmen lautete das Ergebnis am letzten Sonntag. Was tat Bolsonaro, der Verachter von Frauen und von Minderheiten, der Günstling der Generäle, der Schutzpatron der Regenwaldabholzer? Er tauchte ab. Ward nicht mehr gesehen. Guckte zu, wie seine Schutzbefohlenen, die Camioneure, denen er zuvor grosszügig Steuererleichterungen gewährt hatte, die Autobahnen sperrten und damit die Wirtschaft des Landes lahmlegten. Und als er schliesslich doch wieder auftauchte und sich an die Mikrophone bemühte: Kein Wort, das man als Anerkennung seiner Wahlniederlage hätte deuten können. Wie sein Ziehvater Donald Trump versuchte er, sich die Option auf Leugnung der Niederlage offen zu halten. Aber offenbar war seine Lobby zu schwach. Nach fünf Tagen gab er erste Signale, die man in dem Sinn interpretieren konnte, er sei zur Machtübergabe bereit. Ein Happy-end ist das aber noch lange nicht. Das Parlament ist weiterhin in den Händen des Partido liberal, der Partei Bolsonaros. Lula muss bis weit ins rechte Lager hinein koalieren. Ob Brasilien regierbar bleibt, wird sich erst weisen.

 

Zweites Beispiel: Israel. Dort ist seit vergangenem Montag eine klare Mehrheit gesichert. Israel wird regierbar bleiben – aber wie? Netanjahu, von dem bereits die Rede war, hat uns in einer jämmerlichen Schmierenkomödie vorgeführt, wie Demokratien totgeschlagen werden können. Um seine Haut zu retten, hat er sich einerseits dem Ultra-Orthodoxen Bezalel Smotrich, andererseits einem regelrechten Faschisten namens Itamar Ben-Gvir angedient, der seit vergangenem Montag als eigentlicher Königsmacher gilt. Sowohl dessen Vita als auch sein Programm lassen erschaudern: Er gibt kaum ein Delikt von politischem Hooliganismus, das er sich nicht hat zuschulden kommen lassen. Er hat arabische Palästinenser mit dem Tod bedroht, hat mit Waffen auf sie gezielt, hat in Demonstrationszügen lauthals «Tod den Arabern!» skandiert und gefordert, dass es erlaubt sein soll, auf Steine werfende Palästinenser mit Schusswaffen zu schiessen. 53 Klagen wegen rassistischer Delikte wurden gegen ihn eingereicht, acht Mal wurde er verurteilt, viele Verfahren sind hängig. Und dieser überhitzende Hohlkopf, der bis anhin auch im konservativen Lager als politischer Paria galt, ist durch die Koalition mit Netanjahus Likud-Partei jetzt berufen, in der Regierung Einsitz zu nehmen. Angedacht für ihn ist das Ministerium für Innere Sicherheit, ausgerechnet. Israel wird regiert von einem Kabinett von Kriminellen. Hat es einen vergleichbaren Vorfall in der Weltgeschichte schon gegeben, seit 1933 Wilhelm Frick in Deutschland Innenminister wurde, weil der rechtsbürgerliche Franz von Papen die NSDAP Adolf Hitlers zur Regierungskoalition eingeladen hatte – in der Auffassung, dieser werde dann schon zu zähmen sein?

 

Das dritte Beispiel steht noch aus, für wenige Tage. Am 8. November bestellen die USA ihre Midterm-Wahlen: Das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats werden neu gewählt. Aber dennoch geht es am kommenden Dienstag nicht einfach um eine Parlaments-, sondern auch um eine Personenwahl. Die Scheinwerfer, aus deren Licht er treten wird, werfen den Schatten Donald Trumps jetzt schon über den Wahltag. Längst zieht er im Hintergrund die Fäden, indem er im Wesentlichen bestimmt, wer im republikanischen Lager wo wofür zur Wahl antreten darf. Wer? Kandidatinnen und Kandidaten, die ihm loyal ergeben sind und dafür den Tatbeweis antreten, indem sie gebetsmühlenartig seine Mär von der gestohlenen Präsidentschaft Bidens herunterleiern.

 

Es gibt keinen Zweifel: Verläuft der Dienstag nach dem Gusto der Republikaner, mutiert Biden zur «lame duck» und wird Trump ziemlich bald bekanntgeben, dass er bei den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren als Kandidat zur Verfügung stehe.

 

Ob uns dann noch etwas vor einem weiteren Kabinett eines Kriminellen bewahren kann, steht in den Sternen.

 

 

 

 

Seit über einem Jahr finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «Mittelländischen» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Aussen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  

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