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Unwissenschaftliche Theorie der „Immunschuld“ wird von Ärzten immer noch verbreitet

DMZ –  GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Sarah Koller ¦         

KOMMENTAR

 

Diverse Spitäler melden eine Überlastung der Kinderstationen. Die Fälle in der Notaufnahme und die Bettenauslastung seien in diesem Herbst ungewöhnlich erhöht.

Einer der Gründe seien die Hygienemassnahmen gegen Covid-19 („Immunschuld“ - Theorie). Richtig gelesen. Diese Aussage geistert leider schon lange und immer noch umher. Eine Aussage, die verantwortlich ist, dass Eltern immer wieder von neuem unnötig verunsichert werden. Verstärkt wird der Effekt durch Medien, die solche Aussagen unreflektiert und unkommentiert weiter verbreiten. Leider begegnen einem immer wieder Aussagen wie „Mein Immunsystem schützt mich genug“ oder auch andersherum „Durch das Maskentragen und Desinfizieren schwächen wir unser Immunsystem“ – auch von Menschen, die medizinisch ausgebildet sind.

 

So sehen einige Exponenten den Anstieg unter anderem in den Corona-Vorkehrungen, weil dadurch in den letzten zwei Jahren viele Kinder nicht mit diesen Viren in Kontakt gekommen seien. Jetzt, wo sie damit in Berührung kommen, würden sie leichter erkranken. Solche unwissenschaftlichen und leichtfertigen, verunsichernden Äusserungen sind gefährlich. Schliesslich sind Eltern und Bevölkerung bereits genug verunsichert, da macht es keinen Sinn, wenn auch Ärzte weiterhin noch Zündstoff dafür bieten, die Bevölkerung weiterhin mit Falschbehauptungen und leichtfertigen Äusserungen versorgen.

 

„Die Sorge, dass man durch Maske tragen, Abstand halten und Lüften auf lange Sicht irgendwelche Schäden im Immunsystem anrichtet, kann man klar mit Nein beantworten.“

Immunologin Prof. Christine Falk

 

Erst seit 2021 wird der Begriff „Immunschuld“ verwendet, um zu erklären, warum Menschen, insbesondere Kinder, Infektionskrankheiten ausgesetzt sein sollten. Das Vermutung ist, dass das Immunsystem sonst unvorbereitet ist, wenn es Krankheitserregern nicht regelmässig ausgesetzt ist. Diese falsche Annahme wurde gar als Lockdown-Schaden und als Grund dafür angeführt, warum Masken und in einigen Fällen sogar Belüftung und saubere Luft nicht als Hygienemassnahmen in Schulen eingesetzt werden sollten. Ein gefährlicher Irrglaube. Auch die Immunologin Prof. Christine Falk widerspricht solchen Aussagen und „Fachleuten“, die solche tätigen. Das Immunsystem bleibe kompetent, Maske tragen richte keine Schäden an – und sei gerade in diesem Winter nötig. „Dass wir jetzt wieder mehr Atemwegsinfekte als im Vorjahr bei den Kindern sehen, liegt auch daran, dass wir jetzt wieder mehr Kontakte und weniger Schutzmassnahmen haben. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass Maske tragen kontraproduktiv ist. Die Erfahrungen aus dem vergangenen Winter zeigen vielmehr: Infektionen müssen nicht zum Leben dazugehören.“

 

„Die von unseriösen Ärzten/Wissenschaftlern propagierte „Immunschuld“ ist Schwachsinn. Wir sind ununterbrochen Bakterien, Viren, Pilzen etc. ausgesetzt. Viele Infekte merken wir gar nicht. Das Immunsystem braucht kein Sondertraining.

Dr. Sebastian Leibl

 

Der Immunologe Dr. Anthony Leonardi, der sich immer wieder gegen die Corona-Politik der „Herdenimmunität“ ausgesprochen hat, die zu einer Masseninfektion von Kindern geführt hat, schrieb über das Konzept der „Immunschuld“ und kam zu folgendem Schluss: „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass Infektionen tatsächlich einen Nutzen bringen oder eine Schuld darstellen, die bezahlt werden muss. Sie sind eher eine Art Steuer, die wir die Kinder dafür zahlen lassen, dass unsere Zivilisation nicht weit genug entwickelt ist, um Viruserkrankungen zu verhindern, die jedes Jahr Tausende von Kindern ins Krankenhaus bringen.“

 

Es ist erwähnenswert, dass diejenigen, die Bedenken hinsichtlich der Immunschuld äussern, im Allgemeinen dieselben Personen sind, die ursprünglich behaupteten, Kinder würden mit erheblich geringerer Wahrscheinlichkeit infiziert und hätten nicht wesentlich zur Übertragung beigetragen. Dies sind im Allgemeinen auch dieselben Personen, die immer noch behaupten, dass die Mehrheit der Covid-Infektionen bei Kindern ausserhalb der Schulen stattfindet. Und das trotz Kontaktverfolgungs- und Teststudien, die die Übertragungsrichtung belegen.

 

Prof. Roland Jacobs, der Klinik für Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), beschäftigt sich in seiner Forschung mit der angeborenen Immunität und sagt: „Wir können, wenn wir ein physiologisch ausgebildetes Immunsystem haben, uns auch sonst wo hin bewegen und Masken tragen, ohne dass unser Immunsystem dadurch verändert würde. Es gibt ja auch Leute, die längere Zeit in Isolation sind, beispielsweise Astronauten, die monatelang auf der ISS sind – so gesehen im luftgefilterten keimfreien Raum. Die kommen ja auch nicht zurück zur Erde und haben kein Immunsystem mehr. Und das trifft auch für andere Berufe zu, wo Leute jeden Tag 8–9 Stunden in Reinsträumen arbeiten, um z. B. Computerchips herzustellen.“

 

„Ich glaube nicht daran, dass jemand sagen kann, dass er ein besonders gutes Immunsystem hat. Man kann vielleicht feststellen, dass man so gut wie nie krank wird, im Sinne von Erkältungskrankheiten. Das ist aber eigentlich das Normale – normalerweise werden wir nicht krank. Wenn man überlegt, wie vielen Keimen wir jeden Tag ausgesetzt sind, dann sollte man sich eigentlich eher wundern, dass man permanent gesund ist. Wir setzen uns ja sekündlich mit einem neuen Keim auseinander. Auch Mutationen von Zellen passieren alle Nase lang. Aber wir werden nicht krank, weil unser Immunsystem so gut ist, dass es diese Dinge beseitigen kann.“

Prof. Roland Jacobs, Klinik für Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)

 

Andererseits sei man ständig und pausenlos mit Keimen und Viren umgeben, die das Immunsystem aufnehme und verarbeite und sich damit spezialisiere. „Dafür ist aber keine Infektion nötig. Ohne ein aktives Immunsystem würden wir nicht mal ein paar Tage überleben. Aber als gezieltes Training des Immunsystems, wie es sich viele Menschen vorstellen, sollte man das nicht bezeichnen und so was kann man auch nicht durchführen, indem man sich vielen Keimen aussetzt.“ Das sei absolut unnötig und gehe vollkommen an der Realität vorbei.

 

Auch in den Vereinigten Staaten sind im vergangenen Monat die Kinderkrankenhäuser in eine beispiellose Krise geraten. Sehr viele Säuglinge und Kleinkinder werden eingeliefert, die mit einer Reihe von Atemwegserkrankungen im Krankenhaus eintreffen. Die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte ist derzeit das Respiratorische Synzytialvirus (RSV). Doch auch Rhinoviren, Enteroviren, Adenoviren, die Grippe und Covid-19 sind beteiligt, und es gibt Kinder, die mit mehreren dieser Viren gleichzeitig infiziert sind. Auch diese Entwicklung hat rein gar nichts mit den Coronamassnahmen oder einer Immunschuld, die dadurch hätte erwachsen können, zu tun.

 

„Warum lernen wir nicht aus der Krise und nehmen ein paar Schutzkonzepte mit in die Zukunft? Ich persönlich werde auch nach der Pandemie in der Grippesaison beim Bahnfahren Maske tragen, weil ich keine Lust darauf habe, mir eine Infektion einzufangen.“

Immunologin Prof. Christine Falk

 

Nicht nur europäische Kinderkrankenhäuser haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht oder überschritten, sondern auch die US Krankenhäuser, wo aktuell drei Viertel aller Betten in Kinderkrankenhäusern inzwischen belegt sind. Die einzige vergleichbare Masseneinweisung von Kindern in dieser Grössenordnung fand im Januar letzten Jahres statt, als die vermeintlich „milde“ Omicron-Variante täglich durchschnittlich 914 Kinder ins Krankenhaus brachte und allein in besagtem Monat über 200 Kinder tötete. Insgesamt gehören Erreger der Atemwege zu den schlimmsten Todesursachen der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt fest, dass es sich bei ihnen um die höchste globale Belastung handelt, gemessen an den durch Tod oder Behinderung verlorenen Jahren.

 

 

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Studienergebnisse zum Krankheitsverlauf bei Omikron

Aus bislang acht Ländern liegen elf Studienergebnisse - die Mehrzahl noch im Peer-Review-Verfahren - mit realen Daten (real-world data) über den Krankheitsverlauf bei der Omikron-Variante vor. Im Vergleich zur Delta-Variante liegt die Hospitalisierungsrate in diesen Ländern um mehr als die Hälfe niedriger, das Risiko für Intensivaufenthalte und Beatmung ist rund 80% geringer und der Anteil asymptomatischer Verläufe 7 bis 12 mal höher:

Quellen:

 

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