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Straumanns Fokus am Wochenende - Nun zwitschern sie wieder

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦   

KOMMENTAR

 

Pünktlich zur Übernahme von Twitter durch Elon Musk (für 44 Milliarden Dollar) kündigte Donald Trump seine erneute Bewerbung um die amerikanische Präsidentschaft an – respektive für den Startplatz als Kandidat der Republikaner.

 

Und folgerichtig machte Musk wahr, was er uns im Vorfeld bereits angedroht hatte: Er entsperrte den seit Januar 2021 blockierten Twitter-Account Trumps (und weiterer Spezis aus der rechtsradikalen Szene). Hilfreich für seine Entscheidungsfindung war dabei eine Art von ihm inszenierten Plebiszits oder das, was Musk unter Demokratie versteht. Er befragte die Gemeinschaft der Twitter-User, ob dem Lügenbaron aus Mar-a-Lago die Zwitscherfreiheit zurückgegeben werden solle. 15 Millionen Nutzern (darunter möglicherweise sogar ein paar echte Menschen, nicht nur maschinelle Bots…) beteiligten sich, das sind gerade einmal 6,5 Prozent der Twitter-Gemeinschaft. 51,8 Prozent dieser sechseinhalb befanden: yes, freischalten; 48,2 waren dagegen.

 

Wir erinnern uns. Nach Trumps Putschversuch vom 6. Januar 2021, zu welchem er die in der Lüge von der gestohlenen Präsidentschaft vereinigte Meute aufgehetzt hatte, war Trumps Account von der früheren Twitter-Besitzerschaft gekappt worden. Am 8. Januar 2021 setzte er seinen vorläufig letzten Tweed ab: die Ankündigung, dass er die Inauguration von Joe Biden sausen lassen werde. Die Sperrung hinterliess 80 Millionen Follower quasi als Vollwaisen; der Zähler wurde auf null gesetzt. Am vergangenen Sonntag sprach Musk – als Apologet der absoluten Redefreiheit, wie er sich selbst beweihräuchert – sein Machtwort. Trump darf wieder. Auch wenn er bisher darauf verzichtet und noch keinen einzigen Tweed abgesetzt hat, schnellte der Zähler seiner Follower binnen Stunden auf 50 Millionen und innerhalb eines Tages auf nicht weniger als 86 Millionen.

 

Noch ziert sich Trump. Er hatte damals seine eigene Kurznachrichten-Plattform aufgebaut, unter dem sinnigen Namen «Social Truth». Der sei etwas Besonderes, daran wolle er festhalten. Aber mehr als 4,6 Millionen Follower schaffte Trump auf Social Truth nicht. Keine Frage, dass sein Lügengezwitscher in absehbarer Zeit – wenn der Kampf um den Sieg in den republikanischen Vorwahlen in eine entscheidendere Phase tritt – wieder losgehen wird.

 

Mit der neuen Unterstützung von Twitter wird Trump einmal mehr versuchen, die Tatsache aus der Welt zu retouchieren, dass er ein Loser ist. Gewiss, er hat mit Hilfe der Daten von 80 Millionen Facebook-Friends und den Algorithmen von Cambridge-Analytica die Präsidentschaftswahl von 2016 gegen Hillary Clinton gewonnen. Aber abgesehen davon, dass er als «erfolgreicher» Geschäftsmann, als den er sich gerne sieht, sechsfacher Konkursit ist, hat er auch politisch mehrfach verloren: Die Mehrheit im Repräsentantenhaus 2018, die Präsidentschaft 2020, den Senat vor wenigen Wochen, und insbesondere war eine ganze Reihe von Gouverneurswahlen seiner persönlichen Star-Kandidatinnen und -kandidaten ein einziges Fiasko. Das Amtsenthebungsverfahren hat er überstanden, aber nur dank einer Fehleinschätzung seiner eigenen Partei (die nicht verstanden hatte, dass es für sie viel erfolgversprechender gewesen wäre, hätte sie ihn fallen gelassen).

 

Inzwischen bröckelt seine Anhängerschaft. Der Riss, den er durch seine Partei geschlissen hat, ist nur das eine. Dazu rückt ihm die Justiz auf die Pelle, weil er geheime Regierungsdokumente bei sich in Florida privatisiert hatte. Die Permanentprobleme mit den Steuerbehörden wird er nie los. Ebenso ist bemerkenswert, dass die Medien jetzt auf Distanz gehen, insbesondere die Organe des grossen neokonservativen Medien-Zampanos Murdoch. Die New York Post macht sich lächerlich über ihn, Wall Street Journal lässt kaum noch ein gutes Haar an ihm, und sein vormaliger «Haus»-Fernsehkanal Fox klinkte sich neulich aus seiner Rede aus, als er seine Kandidatur für 2024 bekannt gab. Kurz: Eigentlich könnten wir uns langsam auf den Abschied von Onkel Donald einstimmen.

 

Wären da nicht Elon Musk und Twitter. Musk schwafelt von Redefreiheit und Demokratie. Von wegen. Innert ganz weniger Wochen hat er als neuer Besitzer von Twitter sofort zu verstehen gegeben, wes Geistes Kind er ist: ein Turbokapitalist der schlimmsten, ein innerbetrieblicher Autokrat der übelsten Sorte. Gleich mit der Firmenübernahme hat Musk die Hälfte seiner 7500 Festangestellten gefeuert – per Twitter, versteht sich –, dazu kommen 1200, die von sich aus gegangen sind. Für die Betroffenen heisst das, dass sie von einer Sekunde auf die andere von allen Netzwerken ausgeschlossen waren, ob sie in einer Tiefgarage oder in einem Lift steckten – nix geht mehr.

 

Für die Nicht-Betroffenen heisst das zugleich, dass alle Arbeit plötzlich von der Hälfte der Belegschaft bewältigt werden muss. Wer motzt, wer kritisiert, fliegt sogleich raus. Dabei muss man sich bewusst sein, dass es sich um eine politisch, moralisch und ethisch hoch sensible Arbeit handelt. Werden die Algorithmen nicht sorgfältig gewartet und bewirtschaftet, ist der politischen Manipulation Tür und Tor geöffnet. Mit der vernebelnden Begrifflichkeit «Redefreiheit und Demokratie» gibt Musk Trump eine Plattform von 86 Millionen Followern an die Hand, die reichen könnten, eine Präsidentschaftswahl zu entscheiden. Sollte das gelingen, wäre endgültig Schluss mit Redefreiheit und Demokratie. 

 

 

 

 

Seit über einem Jahr finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «Mittelländischen» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Aussen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  

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