Eine Weihnachtsvorlesung, die weiter erzählt, was nicht mehr erzählt werden muss

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Da ich auf so viele begeisterte Hinweise zur „Weihnachtsvorlesung 2022“ von Prof. em. Hans-Werner Sinn getroffen bin und diese mit bald 500.000 Nutzern belohnt wurde, habe ich die zwei Stunden auch investiert. Man kann ja nebenher putzen, die Wäsche machen, etwas kochen – besser aber nicht essen, das könnte Unverträglichkeiten auslösen. Empfehlen kann ich es bei keiner Hintergrundtätigkeit, vielleicht Kreissägen, daher auch nur ein Bildchen dazu.

 

Zum kritischen Umgang mit Sinn empfehle ich jedem zunächst die klare Wahrnehmung, dass er definitiv immer dasselbe sagt. Da er sehr viele Interviews gibt und als Redner oft geladen wird, da er tatsächlich sogar weder absurd schlechte Medien wie Focus oder Merkur scheut, da er sich sogar in die fragwürdigsten YouTube-Ecken wie Tichy et al. begibt, äußert er sich bekanntlich sehr oft. Diese Kombination aus „sehr oft“ und „immer dasselbe“ kann jeder ohne eigenes VWL-Studium zweifelsfrei feststellen.

 

Das erlaubt also zwei Schlussfolgerungen: Entweder ist er genialer Besitzer einer Weltformel, die trotz seiner besonders häufigen Anwendung derselben nur ihm alleine gehört oder er erzählt halt immer dasselbe, weil er nichts anderes zu sagen hat. Da er in der Tat so gut wie keine Gelegenheit auslässt, auf seine eigene Historie früherer Wirkungen und Werke hinzuweisen, empfehle ich bei der Untersuchung dieser Frage, diese älteren Quellen und die darin aufgestellten Prognosen einfach mal genauer zu recherchieren.

 

Mein Ergebnis im Kontext dieser Vorlesung: Er zitiert sich hier sogar besonders präzise und ganz ganz besonders häufig selbst. Das liegt daran, dass er zwei Phänomene thematisiert, die ihn schon sehr lange „bewegen“, die Inflation sowie die Energiekrise. Bei mir setzte eine Mischung aus Fremdschämen und Mitleid ein, weil er das hier so oft hervor holt und sich so besonders glänzend bestätigt sieht. Man muss schon fast eine Art innere Befriedigung vermuten, weil die Daten nun endlich mal so laufen, wie er das bereits seit vielen Jahrzehnten erwartet.

 

Leider übersieht er chronisch, dass er mit einer sehr engen, sehr einseitigen und sehr starren VWL-Schule, die er exzellent beherrscht, weshalb er zurecht immer noch in Uni-Bibliotheken steht, tatsächlich glaubt, damit im Besitz einer Weltformel zu sein, die ihn berechtigt, in Precht´scher Manier für tatsächlich ausnahmslos jedes ökonomische Thema eine Art „Expertenrolle“ einzunehmen.

 

So sagt er unter anderem seit mehr als einer Dekade eine galoppierende Inflation voraus und redet sich um Kopf und Kragen in seiner Bewertung der Energiepolitik bzw. der Energiemärkte. Dabei übersieht er, dass er bezüglich der Inflation mit Modellen arbeitet, die seit mehr als einer Dekade versagen und die auch jetzt die eigentlichen Ursachen nicht berücksichtigen. Bei dem Energiethema erkennt er nicht mal, dass er etwas kritisiert, was sich während er es kritisiert, dauernd änderte und komplett anders entwickelte, als er stereotyp weiter behauptet. Bei der Energiefrage hat er sich sogar in einigen wenigen Fällen mal hinreißen lassen, von seinen Standard-Erklärmustern ins Konkrete zu kommen und sich mit so etwas wie Energietechnik befasst. Die dabei offenbarte Peinlichkeit an Unwissen, Unkenntnis und methodischer Hilflosigkeit muss ihm wohl mal ein guter Freund vermitteln, sonst endet das nie.

 

So beweihräuchert er sich in dieser Vorlesung gar mit der Güte seiner früheren Prognosen und erklärt die heutige Inflation sowie die Energiekrise schon wieder falsch. Da tritt also „endlich“ ein, was er über Jahrzehnte falsch prognostiziert und er erkennt nicht mal, dass es andere Ursachen hat, als er stets vermutete und hier einfach wiederholt – was natürlich auch der Grund für seine dauerhaften Fehlprognosen ist.

 

Sein intellektuelles Problem ist, dass die Globalisierung, die Digitalisierung und die gänzlich neuen Wertschöpfungsketten die Grundlagen seiner eigenen VWL-Schule weitgehend aushebeln. Als Folge hat er zugleich übersehen, dass seine Vorstellungen einer Geld- und Finanzpolitik ihre Zeit auch schon lange hinter sich haben. Er arbeitet mit wissenschaftlichen Modellen, die sogar nur im kleinen nationalen Biotop Deutschlands oder vielleicht Kerneuropas und auch hier nur für ein kurzes Zeitfenster von vielleicht zwei bis drei Dekaden gut funktionierten. Das ist also keine Weltformel, sondern mit den Worten der Literatur beschrieben eine untergegangene kleine vorübergehende nette Erzählung.

Die muss nicht weiter erzählt werden.

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