Investitionsgüter verkaufen? Mit einer Postkarte??

DMZ –  BLICKWINKEL ¦ Ruedi Stricker ¦                   

 

Weihnachten 2010. Erinnern Sie sich an die wunderschöne elektronische Karte mit Musik? An die zutiefst berührende Botschaft „Wir sind auch dieses Jahr im zweistelligen Prozentbereich gewachsen und wünschen Ihnen und Ihrer Familie frohe Festtage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr.“?

 

Nichts gegen Informatik, aber...

Nichts gegen eine hilfreiche Liste mit Geburts- und anderen wichtigen Tagen. Aber: Wenn es um die Pflege von menschlichen Kontakten, um die Übermittlung von Zuwendung geht, ist die ungelenkste Kinderhand dem Bildschirm überlegen; Das Management Team einer Bank hat in einem Workshop die Frage „Wenn Sie schon einen grossen Teil Ihrer Post ungeöffnet in den Papierkorb befördern, was würden Sie auf keinen Fall wegschmeissen?“ so beantwortet: „Einen Brief, der mit Kinderhand adressiert ist“.

 

Qualität statt Quantität

Zugegeben, wer seine Botschaft breiter streut, wird eher gehört. Und angesichts der sinkenden Grenzkosten ist die Versuchung gross, die Auflage möglichst gross zu wählen. Der grosse Nachteil ist einfach die Tatsache, dass man nicht eine Million Menschen mit der gleichen Botschaft persönlich erreichen kann. Die Idee des One-to-one-Marketing stösst trotz komplexer, individueller Kundenprofile in Datenbanken schnell an Grenzen.

 

„Aaluege, nöd aalange!“

Unsere Eltern haben es uns beigebracht: Man darf Dinge anschauen, aber nicht anfassen. Wie erfolgreich diese pädagogischen Bemühungen waren, weiss jeder Autoverkäufer: „Angefasst ist halb gekauft.“ Wir wollen das Leder der Sitze riechen, wir geniessen das Geräusch aus dem Auspuff, und vor allem wollen wir eine Probefahrt machen und die Sache „in die eigene Hand nehmen“. Sprache ist verräterisch.

Was für Autos, Möbel und Schuhe gilt, gilt auch für Botschaften: Papier als Träger von Nachrichten hat eine haptische Qualität, es verursacht Geräusche, es hängt am Kühlschrank, am Anschlagbrett, und es wird nicht mit der DEL Taste entsorgt.

 

Halbkarton, 148 mal 105 Millimeter

Wer kennt sie nicht, die Postkarte? Im Gegensatz zum Brief kommt sie offen daher, sie hat nichts zu verbergen, sie will Gutes mitteilen, die meisten Assoziationen mit diesem einfachen Stück Halbkarton sind positiv, und das von Kindesbeinen an. Mit Karten haben wir gespielt, gewonnen und verloren, gelacht und geweint. Wir haben die ersten Liebesbotschaften auf Kärtchen unter der Schulbank verschoben und später als Studenten mit Karten gelernt, strukturiert und begriffen. Begreifen: Be-Greifen.

 

Die Postkarte als Marketinginstrument?

Der erste Versuch war ein Flop. Die geplante Kampagne mit einer einfachen Postkarte und witzigen Sprüchen scheiterte nicht bei den Kunden, sondern schon in der Marketingabteilung einer renommierten Informatikfirma. „Wir sind ein seriöses Unternehmen, wir verschicken doch keine handgeschriebenen Ferienkarten....“ Dies als Warnung für Nachahmungswillige: Es braucht ein wenig Mut und die Bereitschaft, belächelt zu werden. Dieser erste Flop war dann aber auch der letzte. Nachstehend drei Beispiele aus dem Jahr 2010.

 

Kampagne: Akquisition von Neukunden mit einer Postkarte

Ausgangslage

Ein Schweizer Hersteller von Software mit dreissig Mitarbeitenden sucht neue Kunden. Das Marketingbudget ist beschränkt, es gibt keinen Verkaufsaussendienst.

 

Massnahme 1

Die potenziellen Neukunden erhalten eine von Hand adressierte Postkarte im Format A5 (Abbildung). Auf der Rückseite wird eine Telefonanruf angekündigt. Zusätzlich findet der Empfänger eine witzige Aufstellung von Ausreden, mit denen er ein Gespräch ablehnen kann.

 

Massnahme 2

Nach ca. zwei Wochen erhält der Adressat einen Telefonanruf mit dem Vorschlag zu einem persönlichen Gespräch.

 

Erfolg: Fast jedes zehnte angerufene Unternehmen willigt in ein Gespräch ein, obwohl keinerlei Druck ausgeübt wird. Die anschliessenden Gespräche finden in guter Atmosphäre statt. Die ganze Aktion ist derart erfolgreich, dass sie ohne jede Anpassung auf unbestimmte Zeit weitergeführt wird.

 

Neuer Firmenauftritt mit Karten

Ausgangslage

Eine Künstlerin will ihre Skulpturen erfolgreicher auf den Markt bringen und hat ausser ihren Skulpturen noch gar nichts. Zur Diskussion stehen Firmenbroschüre, Produktbeschreibungen, Mailings, Visitenkarten usw. Das „Übliche“ halt.

 

Lösung

Neben einer einfachen, aber sorgfältig erstellten Website mit hochwertigen Bildern beschränkt sich die Künstlerin bei den Drucksachen auf zwei: Eine Visitenkarte und eine Kunstkarte im Format A5. Diese Karte wird universell eingesetzt, persönlich verteilt oder als Postkarte verschickt. Die Sujets wechseln entsprechend den Skulpturen im Bestand, dank Laserdruck ist das Ganze ausserordentlich günstig. Und nicht zuletzt sind zwei Drucksachen einfacher zu bewirtschaften als zehn.

 

Individuelle Weihnachtskarte

Ausgangslage

Ein KMU möchte seinen Kunden am Jahresende etwas Hochwertiges, möglichst Persönliches schicken. Eine einfache „Standardkarte“ kommt nicht in Frage, ein Sachgeschenk ist zu aufwändig.

 

Lösung

Ein Texter und ein Cartoonist tun sich im Auftrag des Kunden zusammen, um in Wort und Bild möglichst präzis genau diejenige Botschaft zu formulieren, um die es dem Kunden geht. Es wird eine Postkarte im Format A5 gedruckt und dann vom Kunden manuell adressiert und verschickt. Trotz der sehr hochwertigen Anmutung kostet das Ganze nicht mehr als eine Standardkarte.

 

Fazit

Manchmal geht's auch einfach. Manchmal suchen wir zu weit und vergessen, worum es geht: Einen Menschen anzustupsen, ihm Interesse an seiner Person zu vermitteln, ihm einen Vorschlag zu machen oder ihn um Unterstützung zu bitten. Wie man das lernt? Es gibt eine einfache Methode: Auf den Kinderspielplatz gehen und zuschauen. Und darüber staunen, was wir selber alles verlernt haben. Viel Glück!

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