Die Rückkehr von einer Afrika-Reise

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Ich kehre gerade von einer Auslandsreise zu Jahresbeginn zurück und bemerke durch diesen kurzen Abstand ganz besonders die merkwürdige Stimmung in unserer Gesellschaft. Einige kleinere Beiträge zu Energiethemen werfen einen gleich wieder in Diskussionen, die es so nur bei uns gibt. Ich frage mich, warum das so ist.

 

Insbesondere die sowohl widersprüchliche als auch teilweise schon dystopische Denkweise mancher Leute macht mich sprachlos und lässt mich zweifeln, ob wir ausreichend verstanden haben, dass wir vor der eigentlich erfreulichen Aufgabe stehen, ein paar Dinge anders, neu, innovativer und mit besseren Zielen zu beginnen. Warum nur wird so ein kleines Stück Neuanfang bei uns nicht als spannende Chance, sondern als große Katastrophe gesehen.

 

In längeren Diskussionen beispielsweise über die wie auch immer aufgefasste „Energiewende“ begegnet man Leuten, die in Erneuerbaren Energien eine Gefahr für Versorgung und Wohlstand sehen, die an der Stelle über nicht erfüllbaren Ressourcen-Bedarf sprechen, die E-Autos unterstellen, wegen des immer noch schlechten Strom-Mix klimaschädlich zu sein und die Stromspeicher für nicht machbar halten. Alles zu teuer, keine ausreichenden Ressourcen vorhanden, utopische Ausbauziele etc. Man dürfe sich auf so etwas nicht einlassen, das seien alles Abenteuer, unverantwortlich, man müsse seriös alles planen, sonst dürfe man sich gar nicht auf den Weg machen. Das ist die Sicherheitsthese.

 

Dieselben Leute plädieren dann aber dafür, fossile Rohstoffe weiter zu verbrennen, den Rohstoffkonsum der existierenden Wirtschaft „dem Markt“ zu überlassen, technologieoffen zu denken und davon auszugehen, dass es dem Menschen auch bisher gelungen ist, Knappheiten durch Exploration neuer Vorkommen, durch Substitution mit neuen Rohstoffen oder Umweltprobleme durch neue Technologien zu lösen. Da geht es also plötzlich, dieses Verlassen auf kommende Lösungen. Das ist die Anpassungsthese.

 

Macht man auf den Widerspruch aufmerksam, kommen China und Indien sowie der große Rest der Welt, der angeblich alles ganz anders macht und das kleine Deutschland kann die Welt ohnehin nicht retten, es erleidet nur Wettbewerbsnachteile, wenn es das versucht. Das ist bei Lichte betrachtet natürlich die Unvermeidlichkeitsthese.

 

Wirr. Widersprüchlich. Angstbesetzt. Letztlich dystopisch.

Ich bin in weltweite Energieprojekte involviert, schaue also keinesfalls nur auf Deutschland oder Europa. Wir haben Projekte in der Ukraine, im Kosovo, in Mittelamerika und jetzt finden viele Gespräche in Afrika statt, da war ich gerade. Man trifft dabei auf Branchenkollegen aus der gesamten Welt, Amerikaner, Chinesen, Japaner, Europäer sind immer noch die dominierenden Player bei der Durchführung größerer Projekte. Alle sind sie dabei, von konventionellen Kraftwerken über Kernenergie bis zu den Erneuerbaren. Wir kennen uns, wir schätzen uns, wir kooperieren – was an „Streit“ zu diesen Erzeugungsformen in unserer Gesellschaft stattfindet, ist uns ziemlich fremd, es ist tatsächlich ein europäisches Phänomen und es ist in Deutschland ganz besonders ausgeprägt.

 

Wir sprechen dabei mit Ländern, die kein Multibillionen-BIP haben, bei denen es nicht darum geht, in der Energieversorgung vielleicht einen Träger mal zu vervierfachen oder Speichertechnologien zu verzehnfachen. Das sind Länder, bei denen es in den kommenden Dekaden um Faktoren jenseits von Hundert geht – und die dafür zunächst mal kein Geld haben. So sprechen und kooperieren wir also auch stets mit Investoren, ebenfalls weltweit. Es macht mir übrigens eine Mischung aus Freude und Angst, dass die inzwischen viel lieber Projekte in agilen Ländern finanzieren, als in den ökonomisch weiter entwickelten.

Was nämlich der große Unterschied ist: Diese Länder können es sich gar nicht leisten, danach zu fragen, was alles angeblich nicht geht. Wir führen nur Gespräche über Lösungen und wenn man eine aufzeigen kann, gibt es nur noch die Frage: Wann könnt ihr anfangen?

 

Dabei gilt weltweit, dass Erneuerbare Energie absolut erste Priorität hat, das ist sogar in Saudi Arabien selbst so. Keiner, der über mehr als eine Dekade nachdenkt, will maßgeblich auf Öl, Kohle, Gas oder Uran setzen. Das gilt auch für Indien, das gilt auch für China. Ja, die planen sehr viele Kohlekraftwerke. Das tun auch die Afrikaner. Weil sie das tun müssen, sie brauchen teilweise Kapazitätszuwächse in einer Geschwindigkeit, die mit Erneuerbaren und Speichern so schnell gar nicht möglich sind. Sie planen aus denselben Gründen auch Kernkraftwerke, aber das spielt schlicht kaum eine Rolle: Zu komplex, zu teuer und im Aufbau zu langsam. Wir reden hier von Ländern mit ganz anderen Themen als wir sie haben. Dort läuft die Infrastruktur seit Dekaden chronisch hinter der Entwicklung her, das gilt auch für China. Hier geht es um ganz andere Anforderungen an Geschwindigkeit und Finanzierung – es ist de facto weitaus schwieriger als für Europa.

 

Klar brauchen wir eine sichere Energieversorgung. Da wollen diese Länder erst noch hin. Klar kann der Mensch sich sehr gut anpassen, das tun diese Länder gerade, während wir es verweigern. In der Tat ist dort einiges unvermeidlich, aber das wissen sie und sie werden es vielleicht viel schneller vermeiden, als wir heute denken. Wir sind in Planungen involviert, wo Kohlekraftwerke als Übergangstechnologie geplant werden, bis sie durch Erneuerbare substituiert werden. Es macht großen Sinn, das gleich gemeinsam zu planen, denn sehr viel Infrastruktur (Netze, Umspannwerke etc.) kann gemeinsam genutzt werden und die Substitution läuft schrittweise, weil man die Kraftwerke bis zum Aufbau von Speichern als Backup nutzen kann – da steht Europa bereits heute!

 

Die Welt tickt in der Tat in Energiefragen ganz anders als Europäer. Wir sollten das aber richtig einordnen, denn sonst sehen wir bald ähnlich dem Mobilfunk oder dem Internet plötzlich im Rest der Welt Infrastrukturen, von denen wir nur träumen können. Das haben übrigens auch die Amerikaner inzwischen verstanden. Die pflegen bekanntlich erst dann los zu laufen, wenn sie in einer Transformation ökonomische Vorteile sehen.

 

Das ist aber der Fall, denn Erneuerbare sind strategisch, ökonomisch und ökologisch nun mal allen anderen weit überlegen, wenn man nicht den Fehler begeht, simple Excel-Tabellen mit heutigen Preisen zu füttern. Die Frage, welchen Anteil an Erneuerbaren die jeweilige Energieversorgung hat, ist weltweit als Wettbewerbsfaktor erkannt worden. Das ist gut so – aber es will in Europa irgendwie nicht ankommen.

Es mag übrigens sein, dass Fortschritte in ganz anderen Energieerzeugungsformen das Blatt wenden werden. Auch daran arbeiten und forschen sie alle, nicht nur, aber auch bei der Kernenergie. Damit plant aber niemand, denn die Sicherheitsthese wird in der Tat weltweit auch anders verstanden: Als sicher gelten hier nämlich Infrastrukturen mit Erneuerbaren. Das haben die Amerikaner sehr gut verstanden und dort gilt, dass sie nicht nur los laufen, sondern rennen, wenn sie die Kombination aus ökonomischen und geostrategischen Vorteilen erkennen.

 

Ich komme von solchen Reisen sehr gerne zurück nach Europa, weil ich überzeugter Europäer bin. Beruflich muss ich aber zugeben, dass die Rückkehr immer bitterer wird.

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