Die meisten Narrative über den Im- und Export im europäischen Stromverbund sind Desinformation

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Der Springer-Verlag gehört zu den wenigen Institutionen, die für Desinformation sogar von den eigenen Rezipienten bezahlt werden. Das tun ansonsten eher Dritte, Geheimdienste, Lobbyisten und ähnliche interessierte Kreise. Über diese ganz spezielle „vierte Gewalt“ könnte man übrigens mal ein Buch schreiben, das es wert wäre, geschrieben zu werden.

 

Da dieser übliche Stuss mit dem Im- und Export von Strom wieder die Runde macht, kurz die Fakten dazu: Der europäische Strommarkt wurde von den Börsenplätzen bis zu den physikalischen Leitungen ausgebaut, um die in allen Stromsystemen täglich existierenden Überschüsse und Defizite besser ausgleichen zu können. Statt also überall Spitzenlastkraftwerke (aka Gas) kurzfristig in Betrieb nehmen zu müssen oder Überschüsse aus entweder unplanbaren (Erneuerbare) oder trägen (Kohle, Kernkraft) Energien vernichten zu müssen, wird das nun grenzüberschreitend ausgetauscht und ausgeglichen.

 

Folgen: Strom wird primär für Spitzenausgleich ex- oder importiert und das erfolgt überwiegend, wenn die Preise niedrig sind. Bei hohen Preisen werden hingegen primär nationale Kapazitäten kurzfristig hoch gefahren. Ferner importieren alle Länder Europas immer wieder Strom, selbst die ohne Zweifel mehr als autarken Norweger tun das. Aus der Tatsache, dass ein Land Strom importiert, kann also zunächst genau gar nichts abgeleitet werden. Man kann lediglich aus einem dauerhaft negativen Saldo die Vermutung ableiten, dass bestimme Länder nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Und auch das ist zunächst mal kein Thema, denn der europäische Markt wurde auch dafür entwickelt.

 

So eine Tendenz zur Importabhängigkeit ist seit einem Jahrzehnt für Italien, Österreich, Belgien, die Niederlande und UK zu erkennen. Im Jahr 2022 erstmals auch für die Schweiz und für Frankreich, was dort durch Trockenheit und technische Probleme bei den Kernkraftwerken auch erklärbar ist. Für Deutschland gilt das nicht, wir exportieren netto seit Jahrzehnten, im Jahr 2022 erstmals ganzjährig sowie speziell nach Frankreich und in die Schweiz, weshalb man ableiten kann, dass wir die dortigen Stromprobleme mindern konnten.

 

Insgesamt darf man feststellen, dass die Im- und Exporte kein Fehler, sondern ein Gewinn sind, sowohl an Versorgungssicherheit wie an Effizienz – was ökonomisch und ökologisch von Vorteil ist. Die Leistungsfähigkeit des europäischen Systems ist 2022 sogar ganz besonders bewiesen worden, denn in Frankreich und der Schweiz gab es Produktionsausfälle von bis zu 50% und das wäre ohne das europäische Verbundnetz nicht ohne massive Ausfälle in der Versorgung zu handhaben gewesen. Es ist also schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb überwiegend von Mängeln im europäischen oder gar deutschen Stromsystem gesprochen wird. Wenn man die Anforderungen einer zukünftigen Energieversorgung betrachtet, von den erforderlichen Mengen über die Ökobilanz bis zum Transport über die Netze, haben wir bekanntlich enormen Ausbau- und Änderungsbedarf. Das ist vollkommen richtig, aber man sollte davon die Bewertung des Status quo endlich mal trennen und erkennen, dass das System 2022 in sehr komplexen und multiplen Belastungssituationen, vom Krieg in der Ukraine über die Trockenheit bis zu den erheblichen technischen Ausfällen in Frankreich, überwiegend schlicht herausragend gut funktioniert hat. Ich behaupte sogar, dass das europäische Stromsystem technisch das beste der Welt ist. Das darf man auch und gerade in Deutschland vielleicht mal so würdigen!

 

Was die ökonomische Bilanz betrifft, so sind die nackten Zahlen für die Im- und Exporte aus Deutschland eindeutig. Es wurden netto im Saldo mehr als 23 TWh Energie exportiert (Chart 1), dabei wurden netto mehr als 4 Milliarden Euro erlöst (Chart 2), der Preis für Exporte und Importe ist – keine Überraschung – sehr ähnlich (Chart 3), wir exportieren in der Tat selbst nach Norwegen, die größten Mengen aber nach Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich und Polen, also jene Länder, die uns so vielen Gerüchten zufolge angeblich stromtechnisch über Wasser halten (Chart 4). Das ist auch in der netto-Bilanz (Chart 5) so erkennbar, denn in genau diese Länder exportieren wir besonders viel mehr als wir importieren. Die größten Defizite, also mehr Im- als Exporte, haben wir hingegen zu Dänemark, Norwegen und Schweden, also Ländern mit hohem Anteil Erneuerbarer.

 

Die Zahlen belegen genau das Gegenteil der „einschlägigen“ Gerüchte. Das wird diese aber vermutlich nicht stoppen, denn diese Narrative sind von den jeweiligen Absendern und Empfängern gewollt. Es gehört zu den Formen von Desinformation, die qua ihrer Beliebtheit besonders gut funktionieren.

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