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Der Jahreswirtschaftsbericht ist zutreffend – die strukturellen Herausforderungen stehen aber nicht darin

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Auch die Börsen feiern die Tatsache, dass die schlimmsten Szenarien ausgeblieben sind. Das darf der Wirtschaftsminister daher auch so feststellen. Die Kritik aus den eigenen Regierungsreihen und der Opposition ist in der Form unberechtigt und wenig substanziell. Das ist bedauerlich, denn wie üblich setzt es sich genauso und in den meisten Fällen mit noch weniger Substanz in der Öffentlichkeit fort.

 

Dabei gibt es tatsächlich einige kritische Punkte, deren Lösung noch nicht gelungen ist und die im laufenden Jahr wiederkehren dürften. So hat das Ministerium Habecks letzte Woche erstmals einen konkreten Plan zur Energiepolitik vorgelegt, der jetzt tatsächlich mal eine Debatte zur „Energiewende“ erlauben würde. Was bisher dazu in der Politik und der dieser so gerne folgenden Öffentlichkeit passiert ist, war ein Nebelgefecht ohne Grundlage. Dieser nun vorliegende Plan sollte vorgestern im Kabinett besprochen werden. Darüber hat man nichts mehr gehört, es scheint also nicht so einfach zu sein.

 

Was ebenfalls gerade diskutiert wird, ist die fällige Antwort auf die prohibitive und durch massive Subventionen begleitete US-Wirtschaftspolitik. Dazu werden seitens Habeck neue und zielgerichete EU-Förderprojekte vorgeschlagen, während Lindner mit Steuersenkungen für Unternehmen den Standort attraktiver machen möchte.

 

Seit einigen Wochen bereits formieren sich unter anderem die größeren Verbände der Unternehmen, um das Thema der Lieferketten, der Rohstoffversorgung und der damit verbundenen Abhängigkeit auf die Agenda zu bringen. Das ist also nicht nur, aber gewiss mit höchster Relevanz das China-Thema.

Während wir im Bundestag und in den Medien mit den generischen Narrativen von der De-Industrialisierung und der illusorischen Energiewende weiter versorgt werden, finden die relevanten Debatten wohl im Hintergrund gerade statt. Wie soll die Energiewende tatsächlich und endlich auch mal nachprüfbar umgesetzt werden, wie soll die EU auf die US-Politik reagieren, wie soll die Asymmetrie mit China behandelt werden?

 

Das sind wohl die wichtigsten Themen und hier darf man zwischen der berechtigten positiven Bewertung von Habeck und den weiteren Aussichten schon unterschieden. Bei der Energiefrage hat uns nicht zuletzt der warme Winter geholfen. Ob wir die Gasversorgung in Europa nachhaltig gesichert haben, ist noch unklar. Parallel legt Habeck ein Konzept der Energiewende vor, das wie bisher bei der Stromproduktion die Ausweitung von Erdgaskraftwerken als Brückentechnologie vorsieht. Das ist technisch entgegen der vielen üblen Beschimpfungen ein sehr valider Plan, aber ist er aufgrund der veränderten Herausforderungen auf dem Gasmarkt noch machbar? Was ebenfalls Teil dieses Plans ist, betrifft eine dreifache Geschwindigkeit beim Ausbau Erneuerbarer sowie eine breite Elektrifizierung von Segmenten wie Wärmeerzeugung und Mobilität. Auch das ist technisch valide, aber sind diese Ausbaupläne, die auch bei den Netzen erforderlich sind, im bürokratischen Rückstau der damit verbundenen Genehmigungen realisierbar?

 

Bei der leider erforderlichen Antwort auf die US-Politik könnte der Dissens in der Regierung nicht tiefer sein. Diese Politik ist grundsätzlich keine gute Idee, solche prohibitiven Konzepte sind Eingriffe, die meist nur negative Langzeitfolgen haben, für die eigene Wirtschaft und für die Weltwirtschaft zugleich. Die EU sollte versuchen, das zu verhindern und nicht mit derselben Methode zu antworten. Mag sein, dass es nicht anders geht, aber das sollte vielleicht zuerst ausgelotet werden. Steuersenkungen für Unternehmen dagegen zu setzen, ist aus meiner Sicht ein systematischer Kardinalfehler, weil wir auch hier global genau das Gegenteil brauchen, die Unternehmen müssen zukünftig einen stärkeren Beitrag zur Staatsfinanzierung leisten. Die Amerikaner haben das gerade richtigerweise übrigens getan und es wäre kaum dienlich, wenn die Europäer bei den Subventionen Mäßigung verlangen und parallel eine richtige Korrektur in der Steuerpolitik torpedieren.

 

Die Diversifikation der Lieferketten sowie die Rohstoffversorgung, die beim Gas nur beginnt, sind unter all diesen Herausforderungen vermutlich wohl die wirklich essentiellen. Dazu gibt es leider bisher wenig politisches Lösungsangebot und in der Öffentlichkeit überwiegend die mehr als hilflose Reaktion, man könne daran nichts tun, weshalb man mit fossilen Rohstoffen und deren Lieferproblemen nebst ökologischen Problemen fortsetzen müsse.

 

Die Lage ist also besser als erwartet, die öffentliche Stimmung passt nicht dazu. Die Herausforderungen sind aber tatsächlich sehr komplex, was nicht mal schlimm ist, denn sie resultieren aus strukturellen Versäumnissen der Vergangenheit und es ist gut, dass sie nun auf dem Tisch liegen. Aber auch das greift die öffentliche Debatte nicht auf. Wir schaffen es einfach nicht, die wirklich relevanten Themen zu debattieren. So wird eine demokratische Mitwirkung an den Lösungen nicht gelingen und wir können nur hoffen, dass die Politik im Hinterzimmer zu guten Entscheidungen findet.

 

Vielleicht ist auch das nicht neu. Ändern können wir es nur, wenn wir die Themen selbst setzen und nicht denen nachplappern, die uns Bierdeckelsprüche als Vorgabe liefern.

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