Münkler nennt die Petition verlogen, sie ist aber auch manipulativ

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Ich kann wie aus meiner Sicht 99% aller sich öffentlich dazu äußernden weder die militärische Lage, noch die wahren Absichten der Beteiligten bewerten. Weder rückblickend und ganz sicher nicht für das weitere Geschehen. Detailfragen wie die Waffenlieferungen, deren wahre Motivation oder gar militärische Bedeutung sind erst recht nicht bewertbar. Schon gar nicht hier noch tiefere Details wie die Frage, ob dieses oder jenes Panzermodell nun gerade aus welchen Gründen auch immer welche Relevanz haben soll, sind in der öffentlichen Diskussion aus meiner Sicht vollkommen deplatziert.

 

Was ich aber für möglich halte und da habe ich eine gewisse methodische Kompetenz, ist eine spieltheoretische Bewertung und ebenso eine der Kommunikation von Akteuren. Hier kann man rein formal vieles erkennen und ableiten, ohne die Lage zu kennen oder gar zu wissen, wie irgendwelche Waffen sich in derselben auswirken.

 

Dazu ist mir aufgefallen, dass in der manipulativen Wagenknecht/Schwarzer-Petition auch der US-Generalstabschef Milley sinnentstellend missbraucht wird. Milley hatte sich in der Tat vor einigen Wochen zur Ukraine sinngemäß so geäußert, er glaube nicht, dass diese einen militärischen Sieg in der Weise erringen werde, dass sie Russland einen Frieden diktieren könne. Tatsächlich äußert Milley bereits seit längerem, dass er einen Stellungs- und Abnutzungskrieg sieht, der keine militärische Lösung erbringen werde. In dieser Woche hat er das bezüglich Russland mit sehr deutlichen Worten wiederholt und es so bewertet, dass Russland diesen Krieg „strategisch“ bereits „verloren“ habe und auch nicht mehr „wenden“, also nicht „gewinnen“ könne.

 

Milley ist insofern sogar ein Indiz für das Gegenteil der Wagenknecht-These, die namentlich den USA unterstellt, den Krieg nicht nur verursacht zu haben, sondern ihn weiter zu treiben, denn Milley schließt daraus für quasi seinen Verantwortungsbereich, dass der keine Lösung finden werde und daher ein Verhandlungsfrieden die logische Konsequenz sei. An der Stelle irren viele, da Kriege, das ist spieltheoretisch ausführlich untersucht, tatsächlich entweder durch einen militärischen Sieg oder durch wann und wie auch immer zustande kommende Verhandlungen enden. Letzteres passiert laut Forschung vor allem dann, wenn keine Partei mehr der Überzeugung ist, durch eine Fortsetzung des Kriegs mehr Vorteile zu haben als durch seine Beendigung.

 

Das wird in der Spieltheorie sehr genau analysiert und begründet die Bewertung, dass Kriege leider sehr schnell entstehen können, eben weil eine oder auch mehrere Seiten sich daraus Vorteile erhoffen, während sie besonders schwierig wieder aufzulösen sind, weil die Kriegsparteien sofort in einem Dilemma stecken: Es gibt nach Beginn eines Krieges sofort essentielle Nachteile, diesen insbesondere einseitig zu beenden, denn das bedeutet etwas, was vor dem Krieg nicht da war: Eine Niederlage. Ich kenne Milley nicht und kann seine Motivation nicht bewerten. Das kann Wagenknecht auch nicht. Also kann man ihn nur an seinen öffentlichen Äußerungen messen und die sprechen eindeutig dafür, dass er nichts anderes als diese bei einem führenden Militär gewiss vorhandene Expertise besitzt und darüber spricht, dass er hier die Option eines Sieges im Sinne der militärischen Überwältigung einer Partei durch eine andere nicht erwartet. Folgerichtig erwartet er irgendwann die Situation der Ermattung, in der beide Parteien mehr Vorteile in einer Beendigung und keine relevanten mehr in einer Fortsetzung sehen.

 

Spieltheoretisch ist es leider erforderlich, dass BEIDE zu dieser Sicht kommen, das blendet insbesondere Wagenknecht – wie ich vermute mit voller Absicht – aus. Es ist daher auch spieltheoretisch ausreichend erforscht eben nicht so, dass zwischen der militärischen Führung eines Kriegs und Verhandlungen über dessen Beendigung ein Widerspruch oder eine sich ausschließende Alternative bestehe. Im Gegenteil ist es typisch, dass beide Wege parallel gegangen werden.

 

Genau das spricht Milley an, er empfiehlt, diesen Verhandlungsweg und dafür mögliche Voraussetzungen so zu verfolgen bzw. zu verbessern, dass für BEIDE und hier insbesondere die russische Seite, diese Erkenntnis eintritt. Auch das ist eher ein Indiz für das Gegenteil der Wagenknecht-Narrative. Hier sagt ein Militär, dass seine „Zunft“ keinen Frieden erreichen werde und er empfiehlt, die Voraussetzungen für die Erkenntnis BEIDER Parteien zu erarbeiten, keine Fortsetzung des Kriegs mehr zu wollen. Ob Milley das so meint, wie er es sagt, kann niemand bewerten, aber was er sagt, ist logisch vollkommen klar, vom Sinn her eindeutig und zudem nach der reinen Lehre folgerichtig.

 

Spieltheoretisch hat Milley dabei aber einen Punkt ausgelassen, wobei ich nicht vermute, dass er ihn übersehen hat: Es gibt sehr wohl eine Option für einen russischen Sieg auf dem Schlachtfeld. Er schließt das zwar aus, aber das kann definitiv gelingen, wenn die Nato ihre militärische Unterstützung der Ukraine nicht mehr der militärischen Lage anpasst. Die Ukraine dürfte, hier äußere ich mich ausnahmsweise mal zu militärischen Themen, nicht in der Lage sein, aus eigener Kraft die Ressourcen bereit zu stellen, die gegen die russischen erforderlich sind.

 

Wenn ich nun rein spieltheoretisch sowohl die konkreten Bemühungen Russlands – massiver Ausbau der eigenen Ressourcen an der Front – als auch die eskalierende Kriegsrhetorik in der Kommunikation betrachte, so komme ich zu der Schlussfolgerung, dass Russland diese Option sucht. Parallel die Überlegenheit der eigenen Ressourcen einsetzen und rhetorisch mit Angst- und Zersetzungskampagnen die Unterstützung des Westens schwächen. Die Dauer des Krieges dabei als eigenen Vorteil suchend. Wenn man, was ich nicht bewerten, aber zur Kenntnis nehmen kann, die russischen Ressourcen alleine nicht genügen, wie Milley es ja sagt, einen militärischen Sieg herbeizuführen, muss es zu dieser Doppelstrategie finden, die der Gegenseite zu schwächen. Das würde der Erkenntnis, aus einer Fortsetzung des Kriegs keinen Vorteil mehr erreichen zu können, widersprechen. Russland könnte demnach – und so bewerten es viele – im Gegenteil ein Interesse haben, sogar über die Dauer des Kriegs zu Vorteilen zu kommen.

 

Da sind wir wieder bei Wagenknecht, denn deren Petition ist keine allgemeine für den Frieden, sondern eine ganz konkrete für Handlungen des Kanzlers. Er soll institutionell beschrieben eine neue Friedensinitiative initiieren. Das würde die Position der Nato als führende Institution des Westens schwächen und unter der Vorreiterrolle eines singulären Landes eine potentielle Irritation, wenn nicht Spaltung der westlichen Regierungen bedeuten. Es ist an der Stelle auffällig, dass hier nicht Einflussnahme des Kanzlers auf die UN, die Nato oder wenigstens die EU gefordert wird, sondern eine eigene Initiative. Die zweite Forderung ist die schon lange erhobene, also die Waffenfrage. Hinter dieser Forderung steht die kausal unstrittige Schwächung der ukrainischen Ressourcen und seit sie so deutlich erhoben wird, kommt zurecht die Kritik, man könne das nicht fordern, ohne sich wenigstens damit auseinanderzusetzen, was das zur Folge haben wird.

 

Rein spieltheoretisch ist aus meiner Sicht unstrittig erkennbar, dass die hier vorgelegten Forderungen unmittelbar im russischen Interesse sind. Auffällig ist dabei, dass Teile der russischen Narrative, die wie oben begründet, spieltheoretisch den Zweck haben können, die westliche Unterstützung der Ukraine zu schwächen, also insbesondere Angstkampagnen und moralische Zersetzung des Gegners, klassische Taktik in jedem Krieg, von Wagenknecht unmittelbar übernommen werden.

 

Es ist daher begründbar, nach der Motivation von Wagenknecht zu fragen und es ist ebenso begründbar, diese Frage vorrangig zu betrachten, also noch vor das zu stellen, was sie inhaltlich im Detail sagt. Das sollten insbesondere diejenigen beherzigen, die ihr gerne folgen, weil sie doch ein ehrbares Ziel – Frieden – verfolge und berechtigte Fragen – Rolle der USA, der Nato, Wirkung der Waffenlieferungen etc. – stelle. Letzteres ist unstrittig richtig, wird aber manipulativ, wenn es mit gänzlich anderen Absichten vorgetragen wird und zudem inhaltlich nicht mal ein Versuch der Antwort erkennbar ist.

 

Wer Frieden ehrlich will, sollte zunächst mal nicht anderen unterstellen, sie wollten das nicht, sondern sich mit dem tatsächlichen Geschehen auseinandersetzen. Hier ist leider erkennbar, dass jedes Indiz, man könne die westliche Unterstützung der Ukraine schwächen, dazu führen kann, dass Russland exakt dies als Chance sieht und daher die Bereitschaft bzw. Erkenntnis, den Krieg zu beenden, dort nicht reift, sondern beschädigt wird.

 

Es ist daher spieltheoretisch sogar geboten, dass die Nato und deren Regierungschefs an der Bereitschaft, die Ukraine im militärisch erforderlichen Maße zu unterstützen, keine Zweifel aufkommen lassen. Ebenso ist erkennbar, wie schwierig das ist, denn die parallel ausgegebene Linie, nicht selbst Kriegspartei zu werden, kann und wird von Russland natürlich weiter strapaziert. Genau diese schwierige Balance könnte eine kriegsentscheidende Frage werden. Das dürften alle Seiten wissen und es ist vielleicht die größte oder ggf. sogar einzige Chance für Russland, einen militärischen Sieg über die Kriegsdauer doch noch zu erreichen – was umgekehrt lange keinen Frieden erwarten lässt und auch langfristigen keinen, der erstrebenswert oder stabil sein dürfte.

 

An genau der schwierigen Balance aber rüttelt Wagenknecht erkennbar. Ihre Motivation und Rolle sind schlicht erkennbar suspekt. Das steht über ihren Inhalten.

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