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Im diesem Streit zwischen „Markt“- und „Staatswirtschaft“ endet die Wohnungsnot nie

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Das Thema Wohnungsmangel/Wohnkosten hat spätestens seit der parallel einsetzenden Vermögenspreisinflation und der sogenannten Flüchtlingskrise ein Potenzial, das man als politisch/gesellschaftlichen Sprengstoff bezeichnen darf. Die Bedeutung verhindert aber leider nicht, dass Regierungen aller Parteien in Bund, Ländern und Gemeinden der Sache nur von Dekade zu Dekade weiter hinterher laufen.

 

Nun wird dieses dysfunktionale System leider auch noch durch äußere Einflüsse zusätzlich gefordert. Inflation, Lieferketten, Fachkräftemangel, Zinsanstieg, Kriegsflüchtlinge – ein perfekter Cocktail, um ein fußlahmes System zum Stillstand zu bringen. Der beigefügte FAZ-Beitrag beleuchtet das ganze Desaster, jedoch aus meiner Sicht ganz anders, als die FAZ es interpretiert. Der Artikel ist gut recherchiert und zeigt, wie die „marktwirtschaftliche“ Seite momentan der „staatswirtschaftlichen“ präzise darlegt, weshalb es in Zukunft noch viel schlimmer werden wird, nein: werden muss. Auf die „konnte keiner wissen“-Statements dürfen wir uns bereits jetzt freuen, das ist wieder präzise prognostizierbares Versagen.

 

Das ist soweit zunächst leider richtig. Vor allem wird die Rolle des Staats selbst kritisiert. Oft wird übersehen, dass wir hier einen Markt haben, der den Staat selbst als maßgeblichen Akteur beinhaltet. Die Bereitstellung von Infrastruktur aus keinen geringeren Komponenten von Versorgung über Verkehr bis zu Kitas und Schulen, die Ausweisung von Flächen, die komplette Grundlagenplanung sowie nicht zuletzt die konkreten Genehmigungsverfahren sind alle in staatlicher – hüstel, konkreter: föderalstaatlicher – Hand. Der Staat ist aber auch unmittelbar auf der Kostenseite dabei, denn von den Bauauflagen bis zu Steuern und Abgaben – unverschämte Grundbuchgebühren, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer etc. – treibt der Staat die Herstellungskosten oder hält selbst die Hand auf. Weitere Regulierungsdefizite – inakzeptable Notarkosten für simple Geschäftsvorfälle – sind da nur am Rand zu erwähnen. Ebenso am Rande ein zweiter Artikel, der dokumentiert, dass in den Flutgebieten der Ahr gerade fleißig Neubauten auf Risikoflächen hoch gezogen werden. Auch hier: Planungsversagen des Staates.

 

Ebenso ist es richtig, dass regulatorische Brechstangen wie die Mietpreisbremse oder andere „staatswirtschaftliche“ Eingriffe in so einem System nur kontraproduktiv wirken. Es wäre an der Stelle wichtig, dass die Wähler mal verinnerlichen: Politische Maßnahmen haben zwei wesentliche Aspekte: Ein (so kommuniziertes) Ziel und eine tatsächliche Wirkung. Wichtige Erkenntnis: Das ist nicht dasselbe! Empfehlung: Die Wirkung ist das relevante Maß, mag sich das Ziel noch so ehrenhaft anhören. Weitere Empfehlung: Oft wissen Politiker das sogar, die sind nicht so dumm, wie wir gerne denken, aber sie sind mit dem Verkauf von Zielen leider sehr erfolgreich. [Nebenbemerkung: Das funktioniert bei diversen offenen Briefen und Petitionen übrigens auch.]

 

Der FAZ-Artikel beschreibt insofern, was in der aktuellen Regierungskonstellation gerade passiert: Diverse Interessengruppen von der „Marktseite“ sezieren glasklar – und zutreffend! – wie sich die Wohnungsbaupolitik auswirken wird. Entsprechend wird von der Seite vor allem „mehr Markt“ verlangt. Was hier aber übersehen wird: Bei anderen Regierungskonstellationen kommen umgekehrt die Kritiker aus dem anderen Lager und machen – zutreffend! – deutlich, dass „der Markt“ es leider nicht regeln wird. Die meisten Akteure „am Markt“ haben gar kein Interesse, den Wohnungsmangel zu beheben. Ganz im Gegenteil ist der chronische Mangel ein gutes Geschäftsmodell. Längst sind im großen wie im regional kleinen in der Branche marktdominierende Kräfte entstanden, die den Teufel tun werden, zu investieren, Herstellungskapazitäten auszubauen, auf Vorrat konkretes Angebot hoch zu ziehen, Flächen anzubieten. Warum auch? Es gibt seit Jahrzehnten für Hersteller stets genug Nachfrage, um existierende Kapazitäten auszulasten und es gibt auch keinen Margendruck. Auf Planungsverfahren haben viele Einfluss, die Immobilienbestand besitzen. Wer von denen hat denn Interesse, dass neue Volumina ihrem Bestand so etwas ekliges wie Wettbewerb machen?

 

So dokumentiert dieser FAZ-Artikel leider nur den typischen Chor von Interessen, die sich gegenseitig zurecht die jeweiligen Mängel vorwerfen, dabei aber nicht in einen Wettbewerb um brauchbare Lösungen eintreten. Ein Feld mehr, in dem Politik ihre Rolle darin sieht, Interessengruppen vortanzen zu lassen und irgendwie zu orchestrieren. Auch das passiert parteiübergreifend, Lindner macht es gerade bei der Altersvorsorge so, Habeck bei der Energiewende, Söder bei seiner versemmelten Energieversorgung – und Scholz grundsätzlich bei allem und jedem. Was dabei fast immer liegen bleibt: Die Versäumnisse des Staats selbst als operativer Akteur in dem Spiel.

 

Es sollte Flächenvorgaben an Länder und Gemeinden geben, mehr Flächen bereit zu stellen und diese natürlich auch anzuschließen, zu versorgen etc. Es sollte kompetente Planungsgremien am besten auf Landesebene geben, die den Gemeinden bei der Ausarbeitung von Entwicklungsplänen fachlich helfen. Wer mal Gemeindesitzungen hinter sich gebracht hat, weiß, dass die Planungen und Entscheidungen vor Ort nicht selten von Personen getroffen werden, deren Kompetenz nicht mal reichen würde, über einen neuen Toaster sachgerecht zu befinden. Kein Pauschalurteil, es gibt sehr kompetente Entwickler vor Ort, aber es gibt auch das krasse Gegenteil – und genau das darf es nicht geben, nirgendwo. Es gibt keinen Grund, so etwas simples wie Grundbücher dezentral zu führen und Kosten dafür sind inakzeptabel. Das kann man als hoheitliche Aufgabe zentralisieren und kostenlos anbieten.

 

Der Staat selbst muss sich von eigenem Landbesitz trennen, um Druck auf Grundstückspreise zu erzeugen. Die Flächen und deren Vergabe müssen transparenter werden. Es geht nicht, dass Akteure über lokalen Filz besseren Zugang zu Genehmigungen und Planungen haben. Auch das ist kein Wettbewerb. Öffentliche Versteigerungen, für jeden verständlich, Flächen und grundsätzliche Genehmigungen gleich mit. Es muss zugleich einfacher werden, bebaubare Flächen zu erwerben als auch transparenter bei deren Verkauf. Wettbewerb durch Angebotsausweitung und gleichberechtigte transparente Nachfrage, VWL-Lehrbuch der ersten Semester, wer Markt will, muss ihn auch schaffen und nicht nur darüber reden.

 

Zugleich Finger weg von dummen Förderprogrammen beim Konsumenten. Genau hier sind sich übrigens beide Seiten leider wie so oft einig, diese Programme finden immer ganz viele ganz ganz toll. Wenn man den Neubau über eine Gießkanne mit 10.000 EUR fördert, werden in kurzer Zeit alle Neubauten 10.000 EUR teurer. Nichts schöpft „der Markt“ lieber und schneller ab, als dumme Förderprogramme. VWL-Lehrbuch späterer Semester. Ebenso sind soziale Stützungsprogramme oft falsch. Wenn Mieten ganz oder teilweise übernommen werden, egal, wie hoch sie sind, werden die nur höher. Gebt den Leuten, die es brauchen, die Hilfen in deren Kassen. Wenn die billigere Wohnungen finden und sich den Rest der Hilfe in die eigene Tasche stecken, freut euch. So sinken Preise und den ärmsten Haushalten mehr Kaufkraft zu geben, führt zu wesentlich geringeren Fehlentwicklungen als Gießkannen oder gar die Förderung von Kassen, die ohnehin bereits voll sind. VWL-Lehrbuch der höheren Ordnung.

 

Wenn das alles nichts hilft und kein Wettbewerb um das eigentliche Ziel, nämlich eine Versorgung der vollständigen Nachfrage zu im Wettbewerb stehenden Margen, in Gang kommt oder das phasenweise seine Balance verliert, so muss der Staat als Akteur ganz anders eingreifen: Dann muss er selbst bauen. So viel, wie erforderlich ist und mit einem Ziel, das eben kein unternehmerisches ist: Nachfrage übererfüllen. Wer dagegen anführt, der Staat habe sich nicht in den Markt einzumischen, hat von Marktwirtschaft wenig verstanden. Wer sagt, der Staat könne das nicht, hat recht, sollte aber organisatorische Vorschläge machen, wie er das zukünftig könnte.

 

So machen die Chinesen das übrigens, wird bei uns gerne belächelt, das sei alles fahrlässiges drauf los bauen, Bauruinen, die keiner braucht und so weiter. Mag sein, aber wenn man Wohnungsnot verhindern möchte und glaubt, das sei ohne Fehler und Verluste, ja auch Pleiten, möglich, wird man ganz sicher eines erreichen: Sie nicht verhindern. Wer Marktwirtschaft wirklich versteht, wird wissen, dass in einem Markt, zudem in einem sehr trägen, der so gut wie keine Pleiten mehr kennt, vor allem angebotsseitig zu wenig passiert und nicht gar behaupten, das sei ein besonders gut funktionierender Markt. Wir brauchen einen dynamischen Wohnungsmarkt, der geht ohne Pleiten gar nicht und wenn die ausbleiben, weil keiner mehr ins Risiko geht, muss der Staat das tun. VWL-Lehrbuch der höchsten Ordnung.

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