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Das Gerede über viele Milliarden an „Schaden“ ist überwiegend falsch

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die Schwierigkeiten bei der Abwicklung von Banken sowie deren oft systemrelevante Bedeutung kann man, mit allen Simplifizierungen, die dafür notwendig sind, gut nachvollziehen, wenn man die fundamentalen Unterschiede zur „Buchhaltung“ eines normalen Unternehmens versteht. Das große Problem bei den Banken ist bereits die Bewertung der Positionen.

 

Da stehen Forderungen (Vermögenswerte) und Verbindlichkeiten (Schulden) mit Wertansätzen, für die es überwiegend kein reales Maß gibt. Bei Banken kommt wegen des Geschäftsmodells hinzu, dass diese Positionen alle verschiedene Fristen haben, weshalb hier eine Buchhaltung erforderlich wäre, die letztlich so etwas wie eine Bilanz über die Zeit liefert - und da wird es mit der Bewertung der einzelnen Positionen noch viel schwieriger.

 

So etwas gibt es bei normalen Unternehmen natürlich auch. Was ist eine bereits seit fünf Jahren im Einsatz befindliche Maschine tatsächlich wert, sind die Forderungen an Kunden, also die Außenstände, werthaltig, werden die pünktlich bezahlt etc. Das sind jedoch eher Ausnahmen, die meist eine geringe Bedeutung und kurze Frist haben, bis sie sich in reale Vermögenswerte auflösen oder ggf. auch ausfallen. Eine Bankbilanz besteht letztlich überwiegend nur aus solchen nicht klar bewertbaren Positionen und zudem von der schieren Menge her weit mehr als sonst üblich. Alleine der Umfang einer Bankbilanz ist erschlagend, das ist mit normalen Unternehmen nicht mehr vergleichbar, selbst eine kleine Regionalbank hat schnell eine Bilanzkomplexität und eine schiere Positionsmenge, die selbst von Großkonzernen nicht erreicht wird. Diese Bücher sind also breit und tief zugleich.

 

Nimmt man dann noch hinzu, dass eine Bank typischerweise heute ca. vier eigene Euros pro 100 Euro in der Bilanz hat (früher war es ein eigener Euro) und dass die übrigen 96 Euro Geld von anderen sind, erkennt man die Bedeutung des Themas für das System und die Schwierigkeiten, eine einzelne Bank mal eben raus zu nehmen. Deren eigenes Geld spielt gar keine Rolle, es geht um das Geld „anderer“ und es ist im konkreten Fall oft gänzlich unklar, wie viel das ist und wer davon betroffen sein mag. Daher ist es bei einer Abwicklung auch notwendig, eine Bank zunächst immer (!) weiter zu betreiben. Der Normalfall ist, dass die Aufsicht die Führung übernimmt, jegliches „Neugeschäft“ verbietet und „nur“ noch die vorhandenen Positionen abwickelt, bis die Bücher geschlossen sind. Dann erst ist übrigens der Schaden klar. Ab einer bestimmten Größe der Bank ist das vollkommen unmöglich. Dann bleibt leider nur die Lösung, die Fortsetzung der Bank in die Hände einer anderen zu legen und das so entstandene neue Konstrukt mit Hilfskrediten zu stabilisieren, weil niemand – wegen dieser Bewertungsfragen – sagen kann, was das alles kosten wird. Solche größeren Abwicklungen dauern Jahrzehnte!

 

Endgültig unkontrollierbar wurde diese grundsätzlich bereits schwierige Bilanzierung durch die "Erfindung" von derivativen Produkten, bei denen in der Bilanz der Bank nur so etwas bewertet wird, wie der "Nennwert", nicht aber der "Hebel". Dadurch kann es sein, dass da ein Euro in der Bilanz steht, der aber eine "Wirkung" von 1 Million hat. Die Bank wird sagen, das sei alles so konzipiert, dass nicht mehr als der eine Euro bei ihr bleibt und die Million sich irgendwie irgendwo anders auswirken wird. Damit bekommt die Sache mit der "Bewertung" nochmals eine ganz andere Dimension.

 

So ist die „Bilanz“ der Deutschen Bank immer noch im Bereich einer Billion, das sind die wie hier beschrieben "bewerteten" Elemente. Das sogenannte Derivatebuch ist zwar von den unter Jain erreichten 75 Billionen auf nun letzten Zahlen zufolge weniger als 40 Billionen gesunken, aber das ist immer noch „etwas“ größer als ein Euro. Die Bank sagt dazu unverändert, die Größe spiele keine Rolle, weil die effektive Auswirkung dieser Summe in der bilanzierten Billion abgebildet sei. Tatsächlich ist es so, dass das richtig sein kann - oder auch nicht. Und wenn nicht, ist das fragliche Geld irgendwas zwischen dem Zehnfachen und Fünfzehnfachen des BIPs Deutschlands.

 

Konkret: Wenn die Deutsche Bank nicht mehr weiter arbeitet, wabern 40 heute zwar virtuelle Billionen an wann auch immer, wo auch immer, weshalb auch immer real fällig werdenden Geldern im globalen Finanzsystem herum, die niemand ausfallen lassen will oder kann. Und das ist nur eine Bank dieser Größe. Es ist ein auf Systemebene unkontrollierbares Netzwerk von gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten in einer Höhe, die ein vielfaches der realen Weltwirtschaft erreicht hat und für diese überwiegend keine reale Leistung mehr erbringt, jedenfalls keine, die so ein System erforderlich machen würde. Zudem, das sei erwähnt, sind durch die verschärfte Regulierung seit der Finanzkrise sogenannte Schattenbanken entstanden, die noch viel größer als das eigentliche Bankensystem selbst sind. Der Name besagt, dass hier "Vehikel" existieren, die bankähnliche Dinge tun, aber nicht als solche reguliert und überwacht sind. Das sind Fonds, Hedgefonds, Emittenten von Derivaten oder auch als "Vermögensverwalter" firmierende Giganten wie Blackrock.

 

Klingt alles unheimlich und das ist es wegen der Kombination aus Bedeutung, Größe und Intransparenz auch. Das System wird entgegen der stereotypen Crashprognosen sehr wahrscheinlich aber nie kollabieren. Man wird innerhalb des Systems aber auch keine andere Lösung finden, als die mehr oder weniger großen Löcher mit Staats- und Notenbankgeldern zu stopfen. Der eigentliche Schaden, der dabei entsteht, ist vor allem der Kontrollverlust über die Geldmenge und die Steuerung von Investitionstätigkeiten. Es ist hingegen falsch bzw. mindestens verkürzt, wenn behautet wird, es würden so und so viele Milliarden an Steuergeld „ausgegeben“. Der größte Teil der Mittel besteht ohnehin aus Krediten, die niemals abgerufen werden und die tatsächlich fließenden Gelder werden zudem bisher überwiegend zurück bezahlt. Zudem werden mit diesen Mitteln irgendwelche Verbindlichkeiten bedient, also letztlich zunächst mal Schäden vermieden, die vor allem als Kettenreaktion weitaus teurer werden können, als so eine Großbank eine Weile zu beatmen, bis sie letztlich abgewickelt ist.

 

Das Gerede über viele Milliarden an „Schaden“ ist überwiegend also falsch, eher wäre es sachgerecht, von einer Umverteilung zu sprechen und zu fragen, wie dabei Nutzen und Lasten verteilt sind. Ebenso sind die Szenarien vom kompletten Kollaps sehr unwahrscheinlich. Der würde in der Tat drohen, wenn es diese Rettungsmaßnahmen nicht gäbe, das sollten die Crashpropheten mal verinnerlichen, die das eine verteufeln und das andere an die Wand malen.

 

Gut ist daran trotzdem wenig. Es gibt nämlich viele negative Folgen dieser Rettungspolitik und vor allem dieses von der Realwirtschaft entkoppelten Finanzsystems. Dinge wie Vermögenspreisinflation sind eine davon, mit den Folgen für viele Preise der Verbraucher, Wohnkosten beispielsweise. Es fördert auch eine asymmetrische Umverteilung von Einkommen und Vermögen mit entsprechenden gesellschaftlichen Spannungen. Die Wirkung auf die allgemeine Inflation nebenbei bemerkt oft übertrieben dargestellt, die ist komplexer und wird durch andere und mehr Faktoren beeinflusst.

 

Es wäre insofern zweifellos von größtem Interesse, das Finanzsystem auf die erforderlichen Dienstleistungen für die Realwirtschaft zu reduzieren, die inzwischen sogar oft zu kurz kommen. Dazu ist nach meiner Meinung ein Bankensystem inzwischen gar nicht mehr erforderlich, mit der modernen Digitalisierungstechnologie könnten die Notenbanken die Kernaufgabe der Geld- und Kreditversorgung direkt übernehmen.

 

Das wird auch in vielen Think Tanks sowie teilweise in den Notenbanken selbst ganz offen diskutiert. Wer mich an der Stelle für einen Spinner hält, sollte zumindest zur Kenntnis nehmen, dass ich damit nicht alleine unterwegs bin. Es wird sogar seit der letzten Finanzkrise immer intensiver diskutiert.

Für den Großteil der Realwirtschaft wäre dadurch eine Bank heutiger Art überflüssig und so ein System könnte auch nicht mehr in Schieflage geraden, denn das Geld würde nur innerhalb dieser einen Bank umverteilt – Pleite gehen kann die qua Definition nie.

 

Ich bin übrigens sehr optimistisch, dass es starke Kräfte gibt, die das heutige Bankensystem erodieren lassen. Aus der Fintech-Szene werden privatwirtschaftliche Konzepte entstehen, die zwar keine „Allbank“ erzeugen, die aber bei sehr wenigen großen Plattformen eine dieser sehr ähnliche Rolle ermöglichen. Das wird dann Druck auf die Staaten und Notenbanken erzeugen, wie man damit umgeht. Der Konzentrationsprozess hat zudem bereits im Bankensystem ohnehin begonnen, es bilden sich weltweit immer weniger und zugleich größere Banken und auch das wird sich fortsetzen.

 

Insofern gibt es zwar sehr mächtige Interessen, die alles so lassen wollen, wie es ist. Es gibt nirgendwo mehr Geld und höhere Hebel für Geschäfte, aber das System selbst ist längst auf einem Weg, der nicht mehr umkehrbar ist. Es läuft so oder so auf eine Konzentration hinaus und der Druck auf die Staaten, diese zu gestalten und nicht geschehen zu lassen, wächst.

 

Da kommen spannende Zeiten und die derzeitige Phase, in der sich in den USA kleinere Banken auflösen und in der Schweiz nun aus zwei Mega- eine Gigabank entstanden ist, dürfte nur eine Episode mehr sein, die zudem noch längst nicht beendet ist.

 

Insofern wiederholen sich zwar die Muster, es tut weh, das zu sehen, denn so Spinner wie ich reden von so komischen Ideen schon lange, aber es zeichnet sich zugleich auch so etwas wie "Fortschritt" ab, denn das existierende Bankensystem ist wieder einen Schritt weiter in die richtige Richtung gekommen: Zu seiner Auflösung.

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