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Covid strikes back: Der Fall Giro 2023

DMZ –  POLITIK ¦ Christian Klosz ¦                                             

KOMMENTAR

 

Die Vorsichtigen, Vernünftigen und von vielen als "Corona-Ängstliche" Verunglimpften müssen sich bestätigt fühlen: Der Giro d'Italia, das zweitwichtigste Radrennen der Welt, versinkt derzeit im Corona-Chaos. Die Veranstalter sahen sich gar dazu gezwungen, eine Maskenpflicht (wieder-)einzuführen - etwas, das für die meisten Menschen in ihrer Post-Pandemie-Simulation der Vergangenheit angehört und bis vor kurzem wohl undenkbar schien.

 

Natürlich ist das nicht der erste Fall einer Umkehr von der radikalen Abkehr von Schutzmaßnahmen: Wir erinnern uns, dass in Indien in der dort grassierenden Arcturus-Welle manche Provinzen, Städte, Schulen ebenfalls die Maskenpflicht zurückbrachten, einige andere asiatische Länger taten es Indien gleich.

 

Diese erzwungene Rückkehr zur (Rest)Vernunft - die Entwicklung war lange absehbar - hat einen hohen Preis und geschah im Fall des Giro nach drastischen Entwicklungen: Inzwischen zählt das Radrennen 15 offiziell bestätigte Corona-Fälle - das sind beinahe 10% der offenbar doch nicht ganz so immunen Peloton-Herde (Peloton = Fahrerfeld). Hinzu kommen 5 Fälle knapp vor dem Start, die Fixstarter der Rundfahrt betrafen, und "Krankheitsfälle", bei denen die genaue Ursache von den Teams nicht kommuniziert wurde und/oder (bisher) kein positiver Test vorliegt. Ein Gutteil davon wird auch auf das vergessen gewünschte Virus zurückzuführen sein. Insgesamt wird man also de facto von 25 bis 30 Corona-Fällen im Rahmen des Giro sprechen können - wohlgemerkt nach nicht einmal der Hälfte des Rennens. Das wären über 15 bis 20 % der zu Beginn gestarteten Fahrer. Inwischen haben übrigens in etwa so viele Fahrer das Rennen verlassen, wie letztes Jahr zum Ende des Giro (es kommen einige Aufgaben durch Stürze oder aus anderen Gründen hinzu). Dass das Rennen so nicht mehr unter Vorspiegelung irgendeiner "Normalität" zu Ende gebracht werden kann, ist allen klar.

 

Die Veranstalter hoffen, mit den verschärften Maßnahmen die Totalkatastrophe abzuwenden, die lauten würde: Abbruch des Rennens. Der ist inzwischen nicht mehr auszuschließen. Auch der Ausfall von etwa einem Drittel des Fahrerfeldes und weiterer Favoriten würde den sportlichen "Wert" des Giro als Wettkampf massiv mindern. In keinem anderen Profi-Rennen in den letzten 3 Jahren seit Beginn der Pandemie gab es übrigens derart viele Corona-Fälle und -Aufgaben. Ob sich die späte, partielle Einsicht im gesamten Radsport-Tross durchsetzen wird und den Totalkollaps des Giro noch abwenden wird können, wird sich zeigen. Das wird auch maßgeblich davon abhängen, mit welcher Konsequenz die Teams die verschärften Maßnahmen intern durchsetzen. Angerichtet ist der Schaden ja bereits.

 

Interessant sind die Vorgänge beim Giro aus mehrfacher Hinsicht: Zum einen zeichnet sich der Moment einer für viele wohl irritierenden Erkenntnis ab - Corona ist doch nicht "vorbei". Der internationale Radverband UCI hatte seit Beginn letzten Jahres die Schutzmaßnahmen schrittweise zurückgefahren, verpflichtende Tests für Fahrer gibt es nicht mehr und ebenso muss man nicht zwingend aus einem Rennen aussteigen, wenn man Corona hat. Vernünftig ist das alles natürlich nicht, die Rechnung bekommt der UCI jetzt präsentiert.

 

Freilich haben aber auch schon bisher viele Teams intern weiter regelmäßig getestet, die Sensibilität in Bezug auf die Gefahr von Corona-Infektionen und ihren (sportlichen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen) Folgen war zumindest in Teilen noch (oder wieder) vorhanden. In jedem Fall aber ist der Giro d'Italia 2023 ein Bruch mit dem seit 2022 weitgehend praktizierten Umgang des Radsports mit dem Virus: Man sah die Gefahr, insbesondere vonseiten der Veranstalter, in erster Linie darin, dass Rennen durch zu viele bekannt gewordene Fälle ihren "Glanz" verlieren und finanziellen Schaden nehmen würden. Lösung: Schlampiges Testen (Tour de France 2022) - und dann die Abschaffung der (verpflichtenden) Tests. Was nicht sichtbar ist, gibt es nicht, so die Idee. Wie fast überall sonst wurde das Übel nicht in dem Virus gesehen, das eben krank macht und mit dem es einen vernünftigen Umgang zu finden gilt, sondern in den Maßnahmen, die vor diesem Virus schützen sollten: Maßnahmen weg, Thema weg, Virus weg. Dass magisches Denken nur in Fabeln und Märchen funktioniert, war bereits vorher bekannt. Und diese zu jedem Zeitpunkt als solche zu erkennende, katastrophale Fehleinschätzung kommt nun wie ein Bumerang zurück, der die Absurdität und Irrsinnigkeit derselben auf drastische Weise illustriert. Das wird nicht nur im Radsport tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch Wirkung darüber hinaus haben.

 

Dieser Moment der für manche wohl erschütternden Irritation spiegelt sich in diversen Aussagen von so manchem Radsport-Manager und -Experten wider: Rolf Aldag, früher selbst Radprofi und jetzt sportlicher Leiter im deutschen Bohra-Hansgrohe-Team meinte gestern in seiner Funktion als Eurosport Co-Kommentator, dass man ja doch gedacht hatte, die Pandemie sei vorbei - und nun würde man eines Besseren belehrt. Zumindest die Fähigkeit zur Selbstkritik und -reflexion offenbart sich in solchen Aussagen, etwas, das man derzeit bei Politikern und diversen "Experten" verzweifelt sucht.

 

Erkenntnisreich sollten die aktuellen Vorgänge übrigens auch für all jene sein, die die Mär vom "milden Virus", das sich wie eine "Erkältung" problemlos in unser aller Alltag integrieren ließe, glaubten: Die betroffenen Fahrer steigen nicht aus dem Rennen aus "weil sie positiv sind" (weil sie das auch nicht zum Ausstieg verpflichten würde), sondern weil sie schwer krank sind und nicht mehr weiterfahren können. Und/oder um die Gefahr von Folgeschäden wie Long Covid wissen, die sich multipliziert, wenn die nötige Schonung nicht eintritt.

 

Der Teamchef des ebenso ausgefallenen Superstars Remco Evenepoel musste seinen Schützling absurderweise gar verteidigen, warum dieser denn einfach "aufgegeben" habe - er hätte doch einfach weiterfahren können, meinten einige: Er war "krank wie ein Hund" gewesen, so Patrick Lefevere, und fühlte sich miserabel, darum. Und er würde sich nun 10 Tage komplett schonen, und dann stünden erstmals Tests am Herzen an, bevor über das weitere Vorgehen entschieden würde.

 

Christian Klosz ist Kulturjournalist und begeisterter Radsport-Fan. Feedback, Kritik & Zuschriften gerne an christian.klosz@gmx.net

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