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Straumanns Fokus am Wochenende - Ausverkaufsschnäppchen

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦                    

KOMMENTAR

 

In der Frühzeit des Internets verknüpfte sich dessen Entwicklung mit der Hoffnung, der Menschheit sei damit ein Instrument an die Hand gegeben, das die Demokratisierung der Welt beschleunige – ein Werkzeug der Information und Aufklärung, das geeignet sei, den Mächtigen das Fürchten zu lehren. Wir wurden sehr bald eines Schlechteren belehrt. Desinformation und Manipulation drängten sich in die Wirkungsfelder des www, und es waren viel öfter die Potentaten, die die Menschen mit Hilfe der neuen Informationskanäle nach ihrem Gusto lenkten, als umgekehrt.

 

Aber manchmal hat das Internet einen Glücksgriff für uns parat, eine Trouvaille, einen nicht rechtzeitig gelöschten Clip oder ähnliches, das uns ein Aha-Erlebnis beschert. Dann flasht es durch unser Gehirn, und mit einem Mal wissen wir: So ist das also. Einen solchen Flash schenkte mir dieser Tage eine kleine, private amerikanische Fernsehstation mit dem Namen Judging Freedom, die in ihren Recherchen und Kommentaren zum Ukraine-Krieg das pure Gegenteil von Mainstream ist, sondern uns tatsächlich zu informieren und aufzuklären sucht.

 

Ihre Macher spielten dem Publikum letzthin ein Filmchen zu, in welchem nichts als eine Banalität zu sehen ist: Der ukrainische Staatschef Selenskyj empfängt drei Herren westlicher Herkunft zum Gespräch. Drei Herren im maßgeschneiderten Zwirn, von denen der erste, offenbar der Chef der Delegation, ein paar freundliche Worte zu Selenskyj in seinem unvermeidlichen Militärleibchen spricht («it’s a great honour…») und dann seine Kollegen vorstellt.

 

Kein Fernsehsender unserer Hemisphäre hat diese Bilder geteilt, und schon gar kein schweizerischer. Denn – so flashte es – den kennen wir doch, das ist doch einer von uns: Philipp Hildebrand, der von 2010 bis 2012 der Präsident der Schweizerischen Nationalbank war, direkter Vorgänger des jetzigen, Thomas Jordan. Hildebrand hatte 2012 nach Vorwürfen betreffend Insiderhandel, in den vor allem seine Frau involviert gewesen war, seinen Hut genommen. Er heuerte daraufhin bei BlackRock an, der weltgrößten Investmentgesellschaft, die Vermögen von 10 Billionen Dollar verwaltet und Aktienpakete an allem hält, was irgendwie gewinnversprechend ist. Hildebrand verkörpert dort den Rang eines Vice-Chairmans mit Spezialgebiet Europa, Osteuropa und Naher Osten.

 

Was um alles in der Welt macht BlackRock bei Selenskyj? Nichts ist einfacher, als diese Frage zu beantworten, wenn man das Buch «Die Schock-Strategie» der Kanadierin Naomi Klein gelesen hat, eine 500-seitige, ausgezeichnet recherchierte Darstellung über die Vorgehensweise der amerikanischen Außenpolitik im Zeichen des Neokonservatismus (2007). Die geht so: Am Anfang stand die neoliberale Wirtschaftsdoktrin von Milton Friedman, der in den 60er-Jahren an der Universität Chicago lehrte. Ihm schwebte eine so radikale neoliberale Umgestaltung einer Volkswirtschaft vor, wie sie von keinem Parlament der Welt beschlossen werden kann. Also, sagte sich Friedman, wenn wir die totale neoliberale Wirtschaft wollen, müssen wir einen Staat in dem Moment packen, wenn er unter totalem Schock steht, und dann sofort alle relevanten Positionen mit neoliberalen Ökonomen besetzen. Dann können wir deregulieren und privatisieren, was das Zeug hält. Der vom CIA herbeigeführte Putsch in Chile 1973 wurde zum ersten Anlass einer solchen Umgestaltung und zu deren Paradigma: Sofort wurden alle Schlüsselstellen der Wirtschaft mit neoliberalen Entscheidungsträgern besetzt und alles privatisiert, was privatisiert werden kann (Bildung, Gesundheitswesen, Autobahnen, Strafvollzug – einfach alles). Und dann die Gewinne einstreichen… Und dann, nach uns, die Sintflut.

 

Nach Chile 1973 gab es ungezählte weitere Gelegenheiten, das Modell weiterzuführen und zu entwickeln: Polen 1982. Großbritannien unter Margret Thatcher in den 80er-Jahren. New Orleans nach der Hurrikan-Katastrophe 2005. Man brauchte keine besondere Erleuchtung, um auf den Gedanken zu kommen, dass Schock-Zustände organisierbar sind, wenn sie sich nicht von selbst einstellen. Das illustreste Beispiel dafür ist der Irak-Krieg 2003.

 

Heute steht die Ukraine unter Schock. Die USA liefern zwar Waffen bis zum Abwinken, aber selbstverständlich alles auf Pump. Jeder Cent wird zurückerstattet werden müssen (Grossbritannien stotterte seine Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg bis 2006 ab). Aber weil die USA selbst unter einer gigantischen Staatsverschuldung leiden und von Illuiquidität bedroht sind, braucht es das Dazwischentreten grosser Investoren. Die erwähnte Fernsehanstalt Judging Freedom nannte eine Zahl: Die Ukraine gehört mittlerweile zu 30 Prozent BlackRock. Muss man sich mal vorstellen: BlackRock ist der neue Besitzer der Ukraine… Und natürlich steht BlackRock nicht alleine da. Die ganze Wall-Street macht mit und kauft der Ukraine ihre Schulden ab. Dafür steht den Ukrainerinnen und Ukrainern später einmal, wenn dieser unselige Krieg tatsächlich vorbei sein sollte, der Segen einer gewaltigen Privatisierungswelle ins Haus: Eisenbahnen, Autobahnen, die Wasserversorgung, das Bildungs- und das Gesundheitswesen – alles wird privatisiert werden.

 

Damit dürften wohl die letzten Fragen geklärt sein, weshalb der Krieg so lange dauert oder weshalb die USA den Krieg unbedingt gewinnen müssen. Offen bleibt nur, weshalb das westliche Europa dies alles mitmacht und weshalb in der westlichen Presse rein gar nichts von solchen Zusammenhängen zu lesen ist.

Und offen bleibt auch, wie hoch die Gewinne sind, die BlackRock und Konsorten heute aus ihren Beteiligungen an der amerikanischen Rüstungsindustrie einstreichen, ehe dann die Gewinne aus den Ausverkaufsschnäppchen in der Ukraine fliessen werden.

 

 

 

 

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Seit 2020 finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «DMZ» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Außen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  


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