· 

Wenn der Blackout nicht kommt, müssen die Importe herhalten

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Parallel zur Vorbereitung eines Energiesymposiums diskutiere ich in verschiedenen Foren mit desinformierten Kernkraft-Fans und ideologischen anti-Grünen.

Futter findet diese Echoblase aus der Springer-Presse, das beigefügte Chart aus BILD mit der richtigen Darstellung der Stromimporte und der vollkommen falschen Überschrift („angewiesen“) kommentierte gestern ein Leser sogar direkt unter einem meiner Beiträge mit so einer Art „siehste“-Attitüde, viel mehr kam trotz Nachfrage leider nicht.

 

Nachdem die zweistufige Abschaltung der AKWs den behaupteten Blackout nicht zur Folge hatte, konzentrierte man sich auf die Strompreise. Nun sind die aber gesunken, weshalb jetzt die Sache mit den Importen thematisiert wird. Diskussionen in den entsprechenden Foren zeigen vor allem sehr schnell die Inkompetenz der Leute, die ja nicht weiter schlimm ist, aber warum geht man damit nicht entsprechend um: Entweder akzeptieren oder etwas dagegen tun. Mehrere Quellen prüfen, Leuten zuhören, die sich auskennen, lernen, Begründungen prüfen, die eigene Position mal belegen und sich nicht nur hinter solchen Bildchen verstecken.

 

Es sind mühsame Diskussionen, die fast immer mit anti-Grüner Ideologie und faktenresistentem beharren auf „Fakten“ von Bild-Niveau enden. Da siehst du es doch, mehr ist dazu nicht zu sagen, ich habe hier wissenschaftliche Quellen hinterlegt, die ignorierst du einfach. Lächerliche Hinweise, die Preise würden ja wegen der billigen Importe sinken. Das sind dieselben Leute, die behaupten, Deutschland müsse seine EE oft zu billigen Preisen ins Ausland verschenken und dann teuer einkaufen, wenn die nicht liefern. Jetzt sind die Importe also billig und helfen unseren Preisen. Wenn man diese Leute darauf hinweist, dass die Börsenstrompreise, auf die ich hier stets hinweise, nur die Preise des inländisch produzierten Stroms abbilden, weichen sie aus, den Widerspruch zu eigenen Vorträgen wollen sie nicht sehen.

 

Egal, im April wurden drei AKWs abgeschaltet und im Mai wird Strom importiert. Alles klar, das ist der Beweis. Nun, im Mai ist vermutlich alles Mögliche andere passiert, so gab es in den Alpen mehr Regen. Es lief auch mit den AKWs in Frankreich wieder besser. In China sind bestimmt im Mai ein paar Säcke Reis umgekippt und in Zentralafrika mehr weibliche als männliche Wüstenratten geboren worden – oder war es die Zahl der Verstorbenen? Statistik kann so verwirren, aber Kernenergie erklärt die Welt. Viel davon ist gut, wenig davon ist schlecht und Schuld sind die Grünen, diese Gleichung geht sogar dann auf, wenn Blackouts ausbleiben und Preise sinken.

 

Wer die Sache mit den Ex- und Importen statistisch untersuchen möchte, sollte schon mehr als zwei Zahlen nebeneinander stellen und behaupten, das sei eine Korrelation. Die lässt sich nur aus einer Zahlenreihe ableiten und eine Kausalität ist das dann immer noch nicht. Würde man also das tun, was BILD gar nicht erst tun will, was aber trotzdem nicht verboten ist, so könnte man leicht herausfinden, dass mit der einen Ausnahme in 2022 in den wärmeren Monaten immer netto Importe von Strom stattgefunden gefunden haben. Meist sogar bereits im April, ab Mai tatsächlich jedes Jahr, seit 20 Jahren. Die Anzahl der Abschaltungen von Kernkraftwerken in den Vormonaten ist bekanntlich übersichtlich – ergo: Keine Korrelation.

 

Nach der Kausalität kann man dann vielleicht suchen, indem man genauer prüft, wann und warum ex- oder importiert wird, welche Handelspartner dabei agieren etc. Man muss das nämlich nicht mit so einer methodisch untauglichen „Statistik“ machen. Ich messe ja auch nicht, wie oft es mir gelingt, meinen Briefkasten zu öffnen, wenn zeitgleich der Luftdruck über 1.000bar liegt. Mir ist vielmehr einigermaßen klar, wie das kausal mit dem Schlüssel und dem Briefkasten so funktioniert – da brauche ich keine „Statistik“.

 

Beim Strom ist es etwas komplizierter als beim Briefkasten, aber auch das lässt sich aufschlüsseln: Von wenigen Ausnahmen abgesehen – Italien, Österreich etwa – haben alle Länder Europas ausreichende Stromerzeugungskapazitäten im Inland. Auch Deutschland, mit oder ohne AKWs. Der Ex- und Import erfolgt daher ausschließlich preisgetrieben. Wenn Strombedarf über Importe billiger zu decken ist, wird das gemacht und nationale Produktion heruntergefahren. Wenn national mehr produziert als verbraucht wird, sinken die Preise und je nach paralleler Entwicklung in anderen Ländern kaufen diese ein, es kommt also zu Exporten. Das passiert jede Minute, in ganz Europa, es gibt kein einziges Land, das nicht ständig im Wechsel zwischen Im- und Export ist, das reicht bis nach Norwegen – „angewiesen“ ist darauf so gut wie keiner, aber es ist ökonomisch für alle sehr sinnvoll und es ist auch ökologisch gut so, weil dadurch die in unseren veralteten Energiesystemen chronischen Energieüberschüsse zurück gehen.

 

Es ist dabei vollkommen richtig, dass viele Erneuerbare Energien zwar planbare – weil wir das Tage vorher anhand von Wetterdaten wissen – aber nicht bestimmbare Überschüsse liefern. Das reicht von der Wasserkraft in Norwegen über die Windenergiegebiete in Dänemark bis zur Wasserkraft in den Alpen. Wenn viel Regen da ist, der Wind stark weht oder die Sonne scheint, kommt es überall in Europa zu Überschüssen, die zuerst in den nationalen Strommärkten die Preise drücken, andere Kraftwerke aus dem Markt drängen und wenn das nicht reicht über Exporte abfließen. Es ist auch richtig, dass die dabei erzielbaren Preise nicht hoch sind. Das hängt zwar von den Preisen und Produktionsmengen in anderen Ländern ab, aber tendenziell wird zu geringeren Preisen exportiert.

 

Dasselbe gilt aber für konventionelle Kraftwerke und hier ganz besonders für die Kernkraftwerke. Während Erneuerbare den Nachteil starker Produktionsschwankungen haben, ist es bei den Kraftwerken genau umgekehrt: Die mögen Schwankungen nämlich gar nicht, Kernkraftwerke überhaupt nicht. Ausnahme sind zwar Gaskraftwerke, die schnell komplett hoch und runter fahren können, aber betriebswirtschaftlich ist das auch nicht schön, denn eine Anlage, die nichts produziert, ist auch nicht besonders ökonomisch. Daher kommen konventionelle Kraftwerke mit dem stark schwanken Verbrauch nicht gut zurecht, das ist nun mal deren Nachteil. Folge ist übrigens, dass es in den immer noch eher veralteten Energiesystemen eher zu chronischen Überschüssen kommt, weshalb Energie – und hier leider Brennstoff – verschwendet wird. Eine weitere Folge ist, dass nie Stromspeicher in größerem Umfang gebaut wurden. Ein System, dass eher damit befasst ist, seine Überschüsse irgendwie zu begrenzen, wird nicht auch noch Speicher bauen.

 

In der Folge werden zum Export auch immer wieder Strommengen aus Kraftwerken angeboten. Sei es, weil die gar nicht schnell genug runter gefahren werden können, um Überschüsse zu vermeiden oder weil es nicht wirtschaftlich ist, das zu tun. Führt daher sogar immer mal wieder zu negativen Strompreisen: Kraftwerke bezahlen dafür, dass man ihnen den Strom abnimmt, weil das billiger ist, als runter und wieder hoch zu fahren. Hinsichtlich der ökonomischen Wirkung ist das also eher sogar ungünstiger als bei den Erneuerbaren: Wenn zu viel Strom da ist, sinken die Preise und Exporte laufen an, typischerweise nicht zu besten Konditionen. Vergleicht man hier Systeme mit hohem Anteil Erneuerbarer mit anderen, so sieht man, dass diese in der Gesamtbilanz in Geld gerechnet Exportüberschüsse erzeugen. „Verschenkt“ wird da also ohnehin nichts, aber verdient eher mit Erneuerbaren, weil die bei den Grenzkosten natürlich günstiger als alle anderen sind.

 

Auch die konkreten Gründe für den Wechsel von netto-Exporten zu Importen, die wir in Deutschland typischerweise über die wärmeren Monate haben, lassen sich leicht herausfinden. Hier erzeugen Wasserkraftwerke in Norwegen und in den Alpen oft mehr Strom, als dort saisonal gebraucht wird, vor allem im Frühjahr. Das war im Mai so, wir haben viel Strom aus der Schweiz und aus Österreich bezogen. Ebenso erzeugen die französischen Kernkraftwerke in den warmen Monaten mehr Strom, als das Land braucht. Im Frühjahr ist es besonders ausgeprägt, da wird weniger geheizt und noch nicht stark gekühlt. Auch – und das ist nicht lustig – die Kohlekraftwerke aus Polen laufen dann aus denselben Gründen in Überschüsse. Das sind im Mai 2023 die größeren Importländer für Deutschland und da ist genau gar nichts außergewöhnliches passiert. Die große Ausnahme war 2022 als wegen der Trockenheit in den Alpen und der Ausfälle in Frankreichs Kernenergie Exporte in Länder erforderlich waren, die sonst in dieser Saisonphase sogar Überschüsse haben. Aber auch das haben die Reserven im europäischen Stromverbund bekanntermaßen kompensiert.

 

Mit den Strompreisen hat das alles rein gar nichts zu tun, mit der Versorgungssicherheit auch nicht, allenfalls mit der CO2-Bilanz, denn die Abschaltung der AKWs vor dem Ausbau der EE war natürlich nur durch Kohlekraft kompensierbar. Wie viel das mit den Grünen und wie viel mit ganz anderen Interessen zu tun hat, denn die Kohle ist schließlich immer noch ein regional tolles Geschäft, darf man ebenfalls genauer untersuchen, bevor man aus allem und jedem ein anti-Grünes Thema macht – empfiehlt immer noch jemand, der weder Grüner, noch Kernkraftgegner ist.

 

Tatsache ist, dass in Europa schon lange die Preise für Kohle und Gas den Strompreis dominieren, seit 2021 ist es ganz überragend und alleine der Gaspreis. Das EWI hat das in einer sehr eindrucksvollen Analyse schon vor mehr als einem Jahr nachgewiesen – und hier erneut ein Beleg, dass es weit vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs begonnen hat. Gut ist daran gar nichts und das sind die Grünen genauso schuld wie die schwarzen, roten, blauen, denn es ist ein Thema des europäischen Strommarkts, an das keiner so richtig heran will. Entspannt hat sich in dem Bereich auch nichts, denn unsere Gaspreise liegen immer noch 50% über dem Vorkrisenniveau und die langfristigen sogar mehr als 100% darüber. Das erkennt man aber nur, wenn man zuvor erkannt hat, dass diese Krise nicht mit dem Ukraine-Krieg begonnen hat.

 

Auch das liest sich in den Medien leider oft ganz anders.

 

Typische Desinformation durch BILD: 

Der Gaspreis dominiert den Strompreis und das begann im Herbst 2021

 

US-Futures im Vergleich zum europäischen TTF: Hohes Niveau, die Schere schließt sich nicht!

 

Selbst der kurzfristige Preis liegt noch 50% über Vorkrisenniveau

 

Der langfristige Preis liegt noch höher und diese Schere zwischen den Fristen ist ebenfalls neu.

Ausflugstipps

In unregelmässigen Abständen präsentieren die Macherinnen und Macher der DMZ ihre ganz persönlichen Auflugsstipps. 

Unterstützung

Damit wir unabhängig bleiben, Partei für Vergessene ergreifen und für soziale Gerechtigkeit kämpfen können, brauchen wir Sie.

Rezepte

Wir präsentieren wichtige Tipps und tolle Rezepte. Lassen Sie sich von unseren leckeren Rezepten zum Nachkochen inspirieren.

Persönlich - Interviews

"Persönlich - die anderen Fragen" so heisst die Rubrik mit den spannendsten Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern.

Inhalte von Powr.io werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell und Marketing), um den Cookie-Richtlinien von Powr.io zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Powr.io-Datenschutzerklärung.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0