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Die Armut in der Schweiz steigt deutlich!

DMZ - SOZIALES ¦ Daniel Peter ¦

 

Das Bundesamt für Statistik veröffentlicht regelmässig Zahlen zu der Armut in der Schweiz. Im Jahr 2017 waren 8,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung in Privathaushalten von Einkommensarmut betroffen. Dies entspricht rund 675'000 Personen. Zu den am stärksten betroffenen Gruppen zählten Personen, die alleine oder in Einelternhaushalten mit minderjährigen Kindern lebten, Personen ohne nachobligatorische Ausbildung und Personen in Haushalten ohne Arbeitsmarktteilnahme. Des weiteren ist in dem Bericht zu lesen, dass im Jahr 2017 die Armutsgrenze bei durchschnittlich 2'259 Franken pro Monat für eine Einzelperson  und 3'990 Franken pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag. Besonders schockierend fand ich, dass in der Schweiz im Jahr 2017 auch 4.3 Prozent aller Erwerbstätigen von Armut betroffen sind. 165'000 Personen sind also sogenannte Working Poor. 

 

Gemäss dem Bericht sind folgende Gruppen von Erwerbstätigen besonders häufig von Armut betroffen:

  • Personen, die nicht ganzjährig erwerbstätig waren
  • Teilzeitangestellte
  • Selbständigerwerbende
  • Personen mit befristeten Arbeitsverträgen
  • Personen, die in kleinen Betrieben tätig sind
  • Seit 2014 (3.4 Prozent) steige die Armutsquote der Erwerbstätigen tendenziell an. 

 

Was unter dem Titel Armut auf der Seite des Bundesamtes für Statistik publiziert ist, sind blanke Zahlen mit kurzen Interpretationen. 675'000 Personen! Das sollte aufrütteln! Und hinter den Zahlen stehen Schicksale von Menschen. 

 

Kürzlich hatte ich eine junge Mutter in der Beratung, ihr Kind gerade zwei Jahre alt. Die junge Schweizerin arbeitet zur Zeit mit einem 20 Prozentpensum und bezieht Sozialhilfe. Die zuständige Sozialarbeiterin hat die junge Frau beim RAV angemeldet, dieses wiederum hat sie mir zur Beratung zugewiesen. Ziel der Beratung ist, eine Ausbildung zu finden, welche die Frau trotz Kinderbetreuung absolvieren kann. Dafür ist eine 50 prozentige Erwerbstätigkeit Pflicht. Ich arbeite als Job Coach bei einer Beratungsstelle in Winterthur (Beitrag über meine Tätigkeit: https://www.danielcpeter.ch/2018/02/11/was-macht-eigentlich-ein-job-coach/). 

 

Wir besprachen die Möglichkeit der Kinderbetreuung durch Familienangehörige, Krippenplatz und die Zukunft mit Kindergartenbetreuung. Die junge Frau ist alleinerziehend, das Sorgerecht wurde sowohl der Mutter wie dem Kindesvater zugesprochen. Ich erkundigte mich also, wie es denn wäre, wenn der Kindesvater einen Teil seiner Verantwortung in der Kinderbetreuung übernehmen würde. Die Frau schaute mich erstaunt an und meinte: "Aber er ist gerade in der Ausbildung und arbeitet 100 Prozent, da hat er keine Zeit dazu". Wut stieg in mir hoch und ich dachte an die Worte der SVP-Vertreterin in der Arena "Frauen an der Macht - und jetzt?", welche fand, die Gleichstellung sei umgesetzt. Umgesetzt?!! Ich entgegnete der jungen Frau: "Aber Sie sind doch in der gleichen Situation! Sie wollen auch eine Ausbildung absolvieren! Wieso zählt das weniger als die Situation des Kindesvaters?" Sie schaute mich entgeistert an, dann pflichtete sie mir bei, aber fügte leise hinzu "die Gesellschaft ist noch nicht so weit". Und das macht mich wütend! Denn das ist genau einer der Gründe der Zunahme der Armut. Kinderbetreuung ist in unserer Gesellschaft nach wie vor Frauensache. Wenn Frauen nur Teilzeit arbeiten können, hat das weitgehende Konsequenzen. Sie werden weniger in Fach- und Führungspositionen befördert, haben weniger Möglichkeiten eine Ausbildung oder Weiterbildung zu absolvieren und haben schlechtere Karten auf dem Arbeitsmarkt, zahlen weniger in die Altersvorsorge ein und sind ungleich mehr betroffen von Altersarmut. 2012 bezogen 18.6 Prozent der Rentner EL, hingegen 38.4 Prozent der Rentnerinnen (gerne verweise ich auf meinen Beitrag "Altersarmut ist weiblich" https://www.danielcpeter.ch/2019/04/13/altersarmut-ist-weiblich/). 

 

In der Presse ist seit Jahren, wenn nicht sogar seit Jahrzenten zu lesen, dass wir von einem Fachkräftemangel betroffen sind oder sein werden. Wieso also unternimmt die Wirtschaft und die Politik so wenig um die Situation der alleinerziehenden Mütter zu verbessern?

 

Hinzu kommt, dass je weniger Personen den Zugang zu Ausbildungen und Weiterbildungen haben, je mehr werden sie im Arbeitsmarkt von der Digitalisierung betroffen sein. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB kommt in einer Studie zum Schluss, dass die Digitalisierung vor allem Hilfskräfte betrifft. So seien schon jetzt 58 Prozent von Hilfskräften geleisteten Arbeiten theoretisch von Computern und Robotern zu ersetzen. Der Anteil steige rasant! (Hierzu mein Beitrag "Digitalisierung bietet Risiken, aber auch Chancen" https://www.danielcpeter.ch/2019/10/09/digitalisierung-bietet-risiken-aber-auch-chancen/). 

 

Meine Forderung an Wirtschaft und Politik ist, dass nicht bloss Zahlen und Statistiken zur Kenntnis genommen werden, sondern dass dringlich Schritte unternommen werden, um der steigenden Armut entgegenzuwirken:

  • Stipendien für Aus- und Weiterbildungen auch nach dem 45sten Lebensjahr (gerade für Wiedereinsteigerinnen wichtig!)
  • Analyse der Auswirkungen der Digitalisierung und Angebote der Umschulung
  • Kinderbetreuung!
  • mehr Teilzeitstellen um die Kinderbetreuung mit dem Berufsleben zu vereinbaren

Zudem erlebe ich in der Beratung oft Klientinnen und Klienten, welche dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind und die psychisch erkranken. Wenn die Gutachten eine Invalidität von unter 40 Prozent attestieren, dann ist es ein langes und mühsames Seilziehen bis die IV eine Umschulung finanziert. Und eine Invalidität von über 40 Prozent und somit eine IV Rente wird bei psychischen Erkrankungen selten gesprochen. Diese Personen werden von der IV in die Sozialhilfe abgeschoben. Sie nehmen dann oft nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil, weil ihnen die Finanzen dazu fehlen. Und dies führt zu weiteren psychischen Erkrankungen, es folgt eine Abwärtsspirale. Die Untersuchungen betreffend der Abschieberei von der IV in die Sozialhilfe zieht sich ewigs dahin, aber die Zeit eilt!

 

Die Arbeitsgruppe "Gemeinsam gegen Altersarmut" hat am 19. September dieses Jahres eine Demo zu der Thematik Arbeitslosigkeit ü50 organisiert. Am 2. Mai, dem Tag der Arbeitslosigkeit, wird zwischen 11 Uhr und 15 Uhr eine weitere Demo stattfinden. Nationale Demonstration gegen Altersarmut. Wir freuen uns, über viele Teilnehmende, um einen wichtigen Appel an Politik und Wirtschaft zu senden!

 

Der Bericht des Bundesamtes für Statistik:

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/soziale-situation-wohlbefinden-und-armut/armut-und-materielle-entbehrungen/armut.html


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