RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Die Illustration

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦

 

Die Illustration. Ein Foto ist heutzutage so schnell gemacht wie noch nie, die Flut an Bildern ist daher auch entsprechend gross. Dank des Smartphones können wir jederzeit und an jedem Ort - zumindest technisch - gute Bilder produzieren. Apps geben diesen dann den letzten Schliff. Dennoch haben einzigartige Aufnahmen eher Seltenheitswert. Ganz anders sieht dies bei der Illustration aus: über die Vorteile von Zeichnungen im digitalen Zeitalter und deren Kulturgeschichte geht es in dieser Kolumne. Herzlich willkommen.

 

Die Geschichte des Bildes reicht bis in die Steinzeit zurück. Die Höhlenmalerei war wahrscheinlich das erste Kommunikationsmittel der Menschheit, das permanent war. Lange vor der Schrift konnten sich Sender und Empfänger, unabhängig voneinander, mittels Wandzeichnungen einfache Botschaften zukommen lassen.

 

Unter einer Illustration wird im Allgemeinen eine bildhafte Darstellung verstanden, die einen Text begleitet um ihn zu erklären, ihn zu betonen und ihn zu veranschaulichen. Auf den ersten Blick scheint diese Definition klar und logisch. Denn sie bringt es auf den Punkt. Bei näherer Betrachtung allerdings zeigt sich, dass das Wesen der Illustration nicht auf eine so einfache Weise erfasst werden kann. Und diese Überlegung wird noch interessanter, wenn man über die komplizierten Beziehungen zwischen der Illustration und ihrem Inhalt, dem, was also dargestellt wird, nachzudenken beginnt. Wenn wir dies tun, kommen wir nicht darum herum uns darüber klar zu werden, welches unsere wichtigsten Werkzeuge sind, mit denen wir die Welt gestalten und aufzeichnen: mit Bildern und mit Sprache. Die Illustrationen gehören in den Bereich der Bilder, aber die Texte, auf die sie sich normalerweise beziehen, gehören in den Bereich der Sprache. Allerdings bedeuten Illustrationen nicht immer Bilder im wörtlichen Sinn, man kann auch mit Sprache illustrieren. Wir erschaffen mit unserer Sprache geistige Bilder, d.h. Ideen, Visionen und Phantasien, die unsere Vorstellungskraft anregen und über das hinaus gehen, was gesagt werden kann.

 

Bild und Text sind ungleiche Partner – zwei unterschiedliche Methoden der Darstellung, die sich gut ergänzen. Wo Sprache an die Grenzen dessen stösst, was gesagt oder geschrieben werden kann, kommt das Bild zu Hilfe und symbolisiert das Unsagbare. Oder verdichtet es und bringt so einen komplexen Zusammenhang auf den Punkt. Wenn das Bild die Grenzen der Darstellbarkeit erreicht, kann Sprache wiederum Klarheit verschaffen. Natürlich ist dies eine stark vereinfachte Beschreibung dieser Beziehung. Denn letzten Endes ist es fraglich, ob Bild und Text sich auf diese Art so vollständig ergänzen können. Hin und wieder ist es nämlich so, dass das, was sie hinzuzufügen versuchen, nicht funktioniert. D.h. bei uns auf eine unterschiedliche Wahrnehmung stossen. Die Frage bleibt also offen. Aber natürlich können wir feststellen, dass Bild und Text auf vielfältige Art und Weise aufeinander Bezug nehmen: sie lassen sich kombinieren, bauen aufeinander auf, ergänzen sich gegenseitig, können eine Brücke für den jeweils anderen sein oder sich voneinander abgrenzen.

 

Über die Jahrhunderte hinweg war die Gewichtung von Text und Bild ungleich verteilt. Die Macht der Wahrheit und des Wissens lag eindeutig bei der Sprache. Bildern wurde in dieser Hinsicht nur eine ergänzende Rolle zugestanden. Die aktuelle Diskussion zeigt jedoch, dass Sprache als Quelle für Information immer mehr hinter derjenigen der Bilder zurückfällt. Die Sprache und das geschriebene Wort sind nicht mehr alleinige Garanten von Nachrichten und Wissen. Mit dem Aufkommen der Sozialen Medien hat sich dieser Trend verstärkt und sehr vieles verändert. Heute neigen die Menschen vermehrt dazu, sich auf Bilder zu verlassen, wenn sie neue Erkenntnisse erlangen wollen. Sie beziehen einen stetig wachsenden Teil ihrer Informationen über Instagram, Youtube, Snapchat, TicToc, Facebook.... Wir sprechen vom »iconic turn« und vom »pictorial turn«, und meinen damit, dass sich das Interesse auf Bilder und ihr Potential richtet.

Bildfolgen, die uns eine Geschichte erzählen oder eine Botschaft vermitteln, kennen wir schon aus der Antike. So finden sich im Grab des adligen Ägypters Menna um 1400 vor Christus Wandmalereien, die nicht nur Ernteszenen darstellen, sondern auch die Vermessung von Ländereien und die Erfassung der steuerlichen Abgaben. Im Ägyptischen Totenbuch, einer Sammlung von Zaubersprüchen, Beschwörungsformeln und religiösen Anweisungen werden Bildfolgen sogar mit Dialogtext ergänzt. Wobei die Hieroglyphen selbst keine Illustrationen darstellen, da diese trotz ihrer Bildlichkeit für Laute und nicht für Gegenstände stehen.

 

Um Tausend vor Christus wurden Vasen aus Ton zu einem bedeutenden Träger von Zeichnungen, insbesondere in der griechischen Kultur. Zunächst wurden Linien in den unbehandelten Ton geritzt. Aus späterer Zeit finden sich dann aber Gefässe mit aufwendig gestalteten Illustrationen auf weiß grundierter Keramik. Von schriftlichen Überlieferungen ist bekannt, dass vor 2500 Jahren im gesamten Mittelmeerraum Zeichnungen auf grundiertem Holz und mit Silberstift auf Pergament angefertigt wurden. (Weil das Material nicht lange hält, sind heutzutage leider keine Beispiele mehr vorhanden.)

 

Aus dem frühen achten Jahrhundert stammen Tierdarstellungen auf Deckenbalken aus dem Horyu-Tempel in Japan. Diese Emakimono genannten Bildergeschichten, von Buddhistischen Mönchen eigentlich zumeist auf Papierrollen gezeichnet, waren äusserst populär. Handelte es sich dabei doch um Satire, in der sich Tiere wie Menschen verhielten und auch buddhistische Rituale karikiert wurden. 

In Europa entstand im Hochmittelalter in Frankreich der Teppich von Bayeux, ein 68 Meter langer und 52 cm hoher Wandteppich, der die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066 in ganzen 58! Einzelszenen schildert. Auch hier wurden Text und Bild kombiniert. Viele Darstellungen in Kirchen und Kathedralen wie die Altarbilder, Fresken oder die bunten Bleiglasfenster, haben einen comicartigen Charakter. Denn sie zeigen oftmals nicht nur einzelne Heilige, sondern ganze Geschichten. Ihre Aufgabe war es denn auch, den damals leseunkundigen Gläubigen die Erzählungen des Neuen und Alten Testamentes näher zu bringen.

 

Ein wichtiges Merkmal der Illustration jedoch, ist ihre Reproduzierbarkeit. Im Gegensatz zu den weiter oben beschriebenen Werken und Darstellungen handelt es sich hier also nicht um Unikate, sondern um Erzeugnisse der Massenproduktion.

Die Geschichte der Illustration ist somit untrennbar mit Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse im Jahre 1440 verbunden. Erst die Erfindung des Buchdrucks machte die massenhafte Vervielfältigung und Verbreitung von Texten und Bildern möglich. Illustrationen werden also durch einen technischen Prozess hergestellt. Holzschnitt Kupfer- und Stahlstich, Radierung und Lithografie sind solche klassischen Techniken. Handgemalte Einzel-Bilder und die Buchmalerei werden im Unterschied dazu als »Illuminationen« bezeichnet.

 

So, genug für heute. Ich hoffe, die Fülle an Information hat Euch nicht erschlagen.

Um das Lesevergnügen aufrecht zu erhalten, habe ich beschlossen einen Mehrteiler zu erstellen. Wie damals, bei der Kolumnenserie über Fluchwörter. Nächste Woche geht es weiter. Inklusive Playlist. Die schönsten Songs aller Zeiten über Illustrationen, Künstler und Malerei.

 

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