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Nebelspalter - man kann diese Tradition mit gutem Gewissen zu Grabe tragen

DMZ – DIGITAL / LEBEN ¦ Anton Aeberhard & Walter Fürst ¦

KOMMENTAR

 

Die Zeitschrift wurde von Jean Nötzli (1844–1900) und Johann Friedrich Boscovits in Zürich als „Illustriertes humoristisch-politisches Wochenblatt“ gegründet und erschien seit Ende 1996 als Monatszeitschrift. Der Nebelspalter war seit der Einstellung des englischen Punch (1841–2002) das älteste Satiremagazin der Welt.

Der Journalist Markus Somm hat das Schweizer Satiremagazin "Nebelspalter" mit 70 Investoren gekauft - und politisch neu ausgerichtet. Ein Relaunch mit einer im Online-Bereich neu politischen statt satirischen Ausrichtung ging es in die neue Phase. Die Printzeitung soll vorerst bis auf Weiteres unverändert erscheinen. Wie schnell Tradition in den Boden gestampft werden kann, zeigt sich eindrücklich im Beispiel des "Nebelspalters". Der «Nebelspalter» erscheint seit 2021 online als rechtslastige, konservative Meinungsplattform. Das traditionelle Satiremagazin der Schweiz verliert damit den Witz und Verschwörungstheorien einen vermeintlich seriösen Anstrich.

 

Entwicklung des Nebelspalters

Mit der rasanten Entwicklung der Schweizer Medienlandschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts konnte der Nebelspalter nicht mehr mithalten. Karikaturen, Kolumnen und andere satirische Formen wanderten mehr und mehr in die Tagespresse und in die audiovisuellen Medien ab. Das zunehmend bieder wirkende Blatt verlor stetig an Abonnenten und Lesern. In den 1990er Jahren schlug unter Chefredaktor Iwan Raschle die radikale Neuausrichtung des Nebelspalter im Stile der Frankfurter Titanic fehl. Die Auflage sackte von 34'000 Exemplaren auf 17'000 ab, durch das schrumpfende Inseratevolumen verschärfte sich die Krise. Es folgten mehrere Wechsel in der Chefredaktion und 1996 der Verkauf des Titels an den Basler Friedrich Reinhardt Verlag. Auf Ende April 1998 wurde bei einer Auflage von 8'000 seine Einstellung angekündigt. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: "Das 1875 gegründete Satiremagazin ist nach eigener Aussage das älteste der Welt, das ohne Unterbrechung erscheint. Es war mal bedeutsam - unter anderem weil es während des Zweiten Weltkriegs gegen die Nazis stichelte, aber das ist lange her. Der Humor bis letzte Woche: brav. Der Standpunkt: unklar, manchmal ein bisschen links. Die Devise: niemandem zu sehr wehtun. Die Titanic ist Dynamit dagegen. Ein Versuch, sich ihr humormässig anzunähern, ging Mitte der Neunziger schief."

 

Im Dezember 2020 gab der Nebelspalter bekannt, dass die Zeitschrift von der Klarsicht AG übernommen werde. Die Klarsicht AG war zuvor von Markus Somm gemeinsam mit über 70 Investoren und Verwaltungsratspräsident Konrad Hummler gegründet worden. Der bisherige Herausgeber Thomas Engeli beteiligte sich dabei ebenfalls an der neuen Gesellschaft. Neuer Chefredaktor wurde Markus Somm. Herausgeber Thomas Engeli und der bisherige Chefredaktor Marco Ratschiller blieben dem Blatt erhalten. Im Rahmen der Übernahme wurde mitgeteilt, dass der Nebelspalter digital ab März 2021 neu lanciert werden und unter der Marke Nebelspalter neben Satire zukünftig auch seriöse Recherchen publiziert werden sollen. Sieht man sich den Online-Nebelspalter an findet man vor allem eines: Rechte Ansichten, Verschwörungstheorien, Anbiederung zu Corona-Lästerern und gnadenlos gegen Links schiessend. Recherchen sind keine zu finden, sondern lediglich Meinungen und unbestätigte Thesen. Stammtischgepoltere, wie man es von Somm halt gewöhnt ist. Statt satirischen Inhalten werden fragwürdige politische Texte und Videos veröffentlicht. Laut Eigenaussage auf der Website soll die Printausgabe bis auf Weiteres unverändert erscheinen.

 

Pläne und Ziele

Markus Somm hat mit dem Nebelspalter grosse Pläne. Er will ein neuartiges Satire- und Comedy-Format lancieren und damit schweizweit politisch Einfluss nehmen. Ziel sei es, ein parteipolitisch unabhängiges, dezidiert bürgerliches Medium zu lancieren. In einem Interview sagt Somm: "Recherchieren kann ich selbst, doch lustig zu sein, ist nicht gerade meine Kernkompetenz. Darum müssen wir völlig neue Leute finden. Das ist eine Herausforderung. Und für den bisherigen Nebelspalter ist es neu, dass er zu einer politisch ernstzunehmenden, einflussreichen Plattform wird. Wir wollen mit unserer Publizistik in der Schweiz etwas auslösen – auch politisch. Wir werden darum beispielsweise eine gute, prominent zusammengesetzte Bundeshausredaktion haben." Was aber bisher erreicht wurde ist, dass der "neue" Nebelspalter trotz diesen Zielen satirischer aufgenommen wird, als der "alte" satirisch beabsichtigte Nebelspalter. Denn was da geschrieben werde, könne man weiss Gott nur als Satire bezeichnen, kann man einschlägigen Kommentaren entnehmen.

 

Kein Wunder, wenn man den Werdegang von Somm betrachtet. Er war bei Roger Köppels stramm rechter Weltwoche angestellt, und modelte im Auftrag des nationalkonservativen Politikers Christoph Blocher die eher linke Basler Zeitung um und landete schliesslich wieder beim Verlag des Tages-Anzeigers.  Politisch stehe er "rechts der Mitte", Christoph Blocher nennt er einen "guten Freund". Die erschienenen Berichte im "neuen" Nebelspalter sind eine Reihe von meinungsstarken, rechercheschwachen und damit überraschungsfreien Beiträgen in jenen Themenfeldern, in denen sich die Redaktion heimisch fühlt. Wer diese Artikel lesen will, hat 1,60 Franken zu bezahlen oder ein Abo für 16 Franken für einen Monat zu lösen.

 

"Wie ein Medium von einer Sekunde auf die andere die Farbe wechseln kann. Was rötlich war, ist nun schwarz, wo gerade noch die Diskriminierung der Frauen beklagt wurde, lachen nun Frauen über jene, die überall nur diskriminierte Frauen sehen."

 

Thomas Kirchner, Süddeutsche Zeitung

 

Gegen die "Schwere", die Somm nach einem Jahr Pandemie konstatiert, will der neue Chefredakteur anschreiben und anschreiben lassen, gegen den "Grundalarmismus, der die Leute langsam nervt". Und zwar aus einer "dezidiert liberalen" Perspektive, die auch seinen Geldgebern gefällt: 70 Schweizer Unternehmern unter Führung des früheren Privatbankiers Konrad Hummler, die insgesamt sieben Millionen Franken investieren. Schade fürs Geld. Es lässt sich mit weit weniger Geld sehr viel Besseres machen, als ein Meinungsportal. Programmatische Worte – und eine Ansage an den «linksliberalen medialen Mainstream», dem Somm den «Nebelspalter» als drittes bürgerliches Medium neben «NZZ» und «Weltwoche» entgegenstellen will.

 

Die erste Onlineausgabe enthielt unter anderem eine Geschichte über die Schweiz, die bei der Wahl des neuen Generalsekretärs der OECD gegen die EU und mit den Angelsachsen gestimmt hat. Und Somm hat für den Artikel «Die Tage des Nebels sind gezählt» selber in die Tasten gegriffen: Dreissig Jahre lang hat die Linke geherrscht. Ihre Utopien sind verdampft. Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche.

 

 

 

Somm lässt verlauten: " Witz und Satire seien die "Waffen der Schwachen". In der Schweiz müssten sie sich folglich nicht, wie üblich, gegen rechts, sondern gegen die Linken richten, die das Land in manchen Bereichen absolut dominierten: "in der Kultur, den Medien, der Verwaltung. Eigentlich überall". Was allein deswegen fragwürdig ist, weil die Schweizer Regierung zu fünf Siebteln in bürgerlicher Hand liegt. Man darf sich also nichts mehr vom Nebelspalter erwarten und kann getrost eine weitere Tradition mit gutem Gewissen zu Grabe tragen.


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