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Man reibt sich die Augen

DMZ – GESELLSCHAFT / LEBEN ¦ Chris Steinegger ¦

KOMMENTAR

 

Gedanken über das Verhalten in Krisenzeiten

 

Seit etwa 18 Monaten beschäftigt ein Virus die Menschheit und hat es geschafft, so ziemlich jeden Aspekt unseres bisherigen Lebens auf den Kopf zu stellen. Zunächst das grosse Staunen bei den einen, völlige Negierung bei den anderen. Mit steigenden Fallzahlen klafft der Graben in der Gesellschaft immer weiter auseinander. Sie spaltet sich in den einen Teil der Gesundheitsexperten und der Virologen und dem Teil der Bevölkerung, die deren Ansichten und Ratschläge verstehen kann und die vorgeschlagenen Verhaltensmassnahmen befolgt. Die Regierungen, die meisten jedenfalls, versuchen eine Strategie gegen die Pandemie zu entwickeln und durch Anordnungen durchzusetzen. Dabei wurden auch Fehler gemacht wie zum Beispiel die anfängliche Aussage, Masken würden zum Schutz nicht beitragen. Aber wer hatte schon Erfahrungen mit Pandemien? Vieles musste erst gelernt werden. Dann gegen Ende des Jahres 2020 die erfreuliche Nachricht, dass Impfstoffe entwickelt wurden und vor der Zulassung stehen.

 

Und jetzt ging es los mit den kritischen Meinungen, mit den Querdenkern und selbsternannten Immunologieexperten. Was? Impfen? Ich sicher nicht weil… Und schon greift, mit dem Internet und dessen sozialen Medien, eine Welle der absurdesten Falschinformationen zu Risiken und Nebenwirkungen um sich, die in der Vergangenheit ihresgleichen gesucht hat. Viele kennen wir. «Das Ganze ist ein übler Plan von Bill Gates, der die Menschheit mittels Nanochips im Impfstoff unter Kontrolle bringen will!» So einen intergalaktischen Quatsch könnte man eigentlich müde lächelnd ad acta legen wäre da nicht das unfassbare Phänomen, dass sowas von Millionen Menschen geglaubt und weiterverbreitet wurde.

 

In den Evangelikalen Kreisen in den USA wollte man dem Problem mit spirituellen Botschaften zu Leibe rücken. Wir erinnern uns an die fatale Aussage von gewissen Pastoren, die aus Angst ihren allsonntäglichen und steuerfreien Umsatz davonschwimmen sahen, ihre Versammlungsräume seien niemals von Viren befallen und es sei kein Problem, wenn sich da Tausend Menschen eng beieinander zum Gebet und dem Absingen froher Lieder treffen würden. Ich erinnere mich an ein TV-Interview mit einer Frau, die im Auto zur Kirche fuhr und auf die Frage des Journalisten, ob sie sich nicht vor einer Ansteckung fürchten würde, antwortete: «Ich bin geschützt durch das Blut von Jesus!» Da kann man als normaler Mensch wirklich nur fassungslos die Augen verdrehen. Es kam wie es kommen musste, Zehntausende von Infektionen und Tausende von Todesfällen. Das wurde natürlich noch beschleunigt, weil der damalige Präsident auch auf diesem Gebiet völlig ahnungslos war und zu keiner anderen Strategie fähig war, als die Sache zu verharmlosen und Dr. Fauci lächerlich zu machen.

 

Bei uns haben die Veranstalter und auch die Kirchen sich den angeordneten Massnahmen gebeugt, wenn auch teilweise leise murrend. Das führte, im Gleichschritt mit den anlaufenden Impfungen, zu einer Trendumkehr bei den Inzidenzzahlen. Mein Hausarzt meinte im Frühling, als wir auf das Thema kamen: «Die älteren Leute sind nicht das Problem, die lassen sich impfen. Die Jungen würden nicht mitmachen. Oft habe er in seiner Praxis Patienten im Alter 20 bis 35 sagen gehört: och, wenn ich mich anstecke, so what, dann falle ich halt für 10 Tage mit einer Grippe aus und anschliessend bin ich immun.»

 

Es ist schon fast schmerzhaft, dass ein respektabler Teil der Bevölkerung die Fakten nicht sieht, nicht sehen will oder sie schlicht nicht versteht. Fakt ist: ein geimpfter Mensch erkrankt wesentlich seltener, der Verlauf ist wesentlich weniger schlimm und er überträgt im Falle einer Ansteckung das Virus nur sehr erschwert.

Wollte man früher in tropische Länder reisen, so liess man sich impfen. Mit der allergrössten Selbstverständlichkeit. Auch gegen die Impfung zur Immunisierung gegen Kinderlähmung hatte niemand etwas einzuwenden. Aber jetzt, wo die Covid-Impfung einen grossen Beitrag zur Wiedererlangung von persönlichen Freiheiten wie Restaurant- und Konzertbesuche, Reisen und geselligem Beisammensein leisten würde, wird landesweit ein Affentheater abgezogen wie man es vorher kaum je erlebt hat. Da erklärt die unbedarfte junge Frau, der Impfstoff würde ihr natürliches Immunsystem schädigen. Oder: warum soll ich mich impfen lassen? Der Unterschied zwischen geimpft und nichtgeimpft ist ja praktisch keiner. Oder: ich lasse mich doch nicht für andere impfen. Wenn man irgendwo aufgeschnappt hat, dass die Impfung in vereinzelten Fällen zu einer Gürtelrose geführt hat oder dass eine von hundert Frauen Komplikationen bei der Schwangerschaft hatte so wird das unter Ausblendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zum persönlichen Grund erhoben, gegen die Impfung zu sein.

 

Dann kommen noch die Gewohnheitsskeptiker auf den Plan mit ihren Ängsten die Regierung wäre unser Feind und die Etablierung einer Diktatur ihr Ziel. Das bringt dann den Ueli Bünzli dazu, sich irgend einer Demonstration anzuschliessen und eine Schweizerfahne zu schwingen. Im Kreise der Kuhglockenschüttler und der esoterischen Schwurblerszene scheint er sich wohl zu fühlen. Man tut wenigstens irgendetwas gegen das vermaledeite Virus, wenngleich auch wahrscheinlich das Falsche.

 

Unsere Gesellschaft beklagt sich zunehmend, sie würde gespalten. Eine Zweiklassengesellschaft würde eingeführt. Gleichzeitig tut sie aber alles, dass diese Entwicklung sich noch akzentuiert. Kürzlich wurde in den Medien eine neue Dating-Plattform vorgestellt, wo man sich ziemlich offen an die Ungeimpften wendet. Es wäre ja fatal, wenn die neue Beziehung einen darüber aufklären würde, welchen Nutzen die Impfung hat. Also bleibt man lieber unter sich und teilt mit dem neuen Partner seine wenn auch fragwürdige Einstellung. «Lieber Händchen als Abstand halten.» ist die Devise dieser neuen Internetseite.

 

Was kann getan werden um dieser ungemütlichen Entwicklung entgegenzuhalten? In einigen Ländern kann man an einer Lotterie teilnehmen und bei etwas Glück richtig Geld gewinnen. Wäre eine Möglichkeit. Was Anlass zur Hoffnung gibt ist, dass gewisse Medien versuchen, positiv zu kommunizieren wie unlängst watson.ch, die Testimonials von Menschen wie Du und ich publizierte, warum sie sich hätten impfen lassen. Vielleicht sind die Aussichten auf Reisen, Parties und Vergnügungen, die Geimpften vorbehalten sind, ein Motivator. Viellicht ist auch die Verabreichung eines Stücks einer Riesentorte vor dem Bundeshaus ein Ansatz, wer weiss. Aber sicher ist, dass die Impfung einen begünstigten Zugang zum Berufsleben mit sich bringt, ein richtiger Weg. Erste Firmen wollen wissen, ob Mitarbeiter geimpft sind, erste Spitalinstitutionen stellen nur geimpftes Personal ein. Denn wenn wir den Umgang mit dem Virus in einigen Jahren gelernt haben werden, den Job möchte man ja schon behalten. Das wird sicher auch der jüngeren Bevölkerung ein Anliegen sein.


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Kommentare: 1
  • #1

    Willy Keller (Sonntag, 25 Juli 2021 17:00)

    Warum werden Artikel wie dieser nicht geteilt, oder sonst verbreitet?
    Warum hat man bisher noch keine wirksame Behandlungsmethode verœffentlicht?
    Warum sagt keiner dem Patienten, dass er im Spital nur Sauerstoff und ein Paracetamol bekommt?
    Warum warten alle auf die Impfung, die unter Umständen gar nicht helfen kann, weil sie noch nicht wirkt ?
    Bisher konnte mir noch niemand einen Behandlungsablauf schildern . Ist wohl geheim!