Boss mit Down-Syndrom

DMZ –  ARBEITSWELT ¦ Vera König ¦

 

Geschenktes Glück: Wie aus sozialem Engagement ein Unternehmen wird

Als Marian Mewes (23) mit Down-Syndrom auf die Welt kommt, erfährt seine Familie viel Mitleid von Freunden und Bekannten. Genau das wollen sie aber nicht. Heute zeigen Marian und seine Schwester Tabea in ihrem Blog „Not just Down", wie leicht Inklusion sein kann.

 

Tabea Mewes sitzt auf gepackten Kisten. Mal wieder. Die 31-Jährige arbeitet die vielen Bestellungen ab, die über den Onlineshop hereinkommen. Sie ist stundenlang mit Verpacken und Verschicken von Postkarten-Sets, Pullovern, T-Shirts und Taschen beschäftigt. Nachmittags und abends hilft ihr Bruder Marian, wenn er bei seinem Hauptjob in der Kita Feierabend hat. Der 23-Jährige, der von allen nur Mari genannt wird, hat das Down-Syndrom. Die beiden Geschwister aus der Stadt Schloß Holte-Stukenbrock (Nordrhein-Westfalen) betreiben einen Online-Shop, der alles andere als gewöhnlich ist: Weil Tabea und Mari zeigen wollen, dass das Leben von Menschen mit Down-Syndrom alles andere als down ist, haben sie 2017 das soziale Projekt „Not just down“ ins Leben gerufen – und damit inzwischen ein Label mit mehreren Tausend Followern in den sozialen Medien aufgebaut.

 

„Not just down“ ist ein sehr persönlicher Blog auf Instagram, Facebook und der Website notjustdown.com, auf dem die Geschwister viel von ihrem Alltag zeigen sowie zu bestimmten Themen aufklären, zusätzlich öffnen sie ein bis zwei Mal im Jahr ihren Pop-up-Onlineshop auf der Homepage. Denn die Fangemeinde wächst täglich. „Wir freuen uns wahnsinnig, was aus dem Projekt geworden ist“, sagt Tabea glücklich. Für sie ist „Not just down“ längst kein Ehrenamt mehr, mit 50 bis 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche ist sie dadurch schon zur Unternehmerin geworden. Dass sich ihre Initiative einmal zum florierenden Business entwickelt, hat weder Tabea noch Mari geplant oder geahnt.

 

Denn angefangen hat alles unscheinbar: mit einer Masterarbeit. Die damalige Studentin der Medienwissenschaft hat ihr Herzensthema mit der wissenschaftlichen Arbeit verknüpft. Tabea war die defizitorientierte Berichterstattung über Menschen mit Behinderung ein Dorn im Auge. Sie wollte die Einstellung der Gesellschaft verändern, weg vom Negativen hin zum Positiven. In ihrer Masterarbeit „Bewusstsein generieren durch Social Marketing“ entwickelte die Studentin daher die Idee für eine Initiative, die ein anderes Bild von Menschen mit Down-Syndrom zeichnet. Das äußerst private Projekt startete im November 2017. „Geschwisterblogs gibt es bis dato noch nicht, nur solche aus der Elternperspektive“, berichtet Mewes. Anfangs veröffentlichte Mewes nur über ihren privaten Account, schnell und ungeplant wurde die Online-Initiative zum Selbstläufer. Auf ihrer Haupt-Plattform Instagram haben Tabea und Mari inzwischen rund 60.000 Follower. „Social Media ist super, um die Leute zu erreichen.“

Tabea fungiert als Maris Sprachrohr, da er Sprachprobleme hat. Die 31-Jährige ist die Ideengeberin, der 23-Jährige besitzt jedoch bei allem die Entscheidungshoheit. „Mari ist die Hauptperson und der Motor. Er ist der Boss“, erklärt Tabea, die voller Tatendrang und positiver Energie steckt. Ohnehin praktizieren die beiden zusammen mit dem ältesten Bruder Tilman, der in Berlin lebt, einen ungezwungenen, authentischen Umgang mit dem Thema Behinderung. „Der visuelle Faktor spielt eine große Rolle“, erklärt sie. „Unsere Zielgruppe sind junge Erwachsene, die bestenfalls noch keinen Kontakt zum Thema Down-Syndrom haben“, erklärt die 31-Jährige. „Viele Menschen ohne Behinderung haben keinen Kontakt zu dem Thema. Menschen wie Mari leben ein Parallelleben.“

 

Zu den privaten Einblicken gehören Höhen und Tiefen gleichermaßen. In Deutschland herrsche – trotz aller Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten – ein sehr exkludierendes System vor, anders als in Skandinavien und Italien, kritisiert Mewes. Zu diesem selektiven Konzept zählen Orte, an denen behinderte Menschen eine Aufgabe bekommen. So war es lange auch bei Mari. Als Kind besuchte er zwar eine Regel-Grundschule, danach war es mit der Inklusion aber erst einmal vorbei. Er wechselte auf die Förderschule bis zum Ende der 13. Klasse, einen offiziellen Abschluss erhält man dort nicht. Es folgten Praktika und Jobs in Behindertenwerkstätten. „Mari war dort nicht glücklich“, berichtet Tabea. Daher machte sich seine Familie dafür stark, dass Mari über Praktika Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt erhielt. „Er wollte nicht zurück in die Werkstatt.“ Es klappte: Der junge Mann mit Down-Syndrom bekam eine Stelle vor Ort als Kita-Helfer. Er ist offiziell noch Angestellter der Werkstatt, arbeitet aber fest im Kindergarten. Ausschließlich für „Not just down“ tätig sein möchte er nicht, da er die Arbeit mit den Kindern zu sehr liebt.

 

So positiv Tabea und ihre Familie heute auch eingestellt sind: Positiv und einfach war es nicht immer. Dass Mari das Down-Syndrom hat, erfuhren seine Eltern und die älteren Geschwister erst nach seiner Geburt, dementsprechend überrumpelt waren anfangs alle. Dass Mari 47 Chromosomen statt 46 besitzt, erzeugte reichlich negatives Feedback im sozialen Umfeld. „Wir haben viel Mitleid ausgesprochen bekommen“, berichtet die Schwester. „Nach den vielen grauen Gewitterwolken war uns als Familie klar, dass wir kein bemitleidenswertes Leben führen.“ Menschen mit Behinderung würden von der Gesellschaft oft als Belastung empfunden. „Wir wachsen in einer Gesellschaft auf, die auf Leistung und Gesundheit gepolt ist. Was nicht der Norm entspricht, ist nicht gewünscht“, sagt sie. In der Familie hat sich der kämpferische Kern verfestigt und Mari war von Beginn an ständig dabei. „Es gab natürlich unzählige Hürden und kein inklusives Umfeld.“

 

Umso mehr freut es Tabea, dass Mari durch „Not just down“ so viel Zuspruch erfährt. „Mari steht im Fokus, die Menschen interessieren sich für ihn und seine Geschichte.“ Dadurch veränderte sich sogar seine Persönlichkeit. „Er ist total selbstbewusst geworden.“ Weil Maris Zeichnungen bei den Followern so gut ankamen, kreierten die Geschwister Produkte wie Postkarten und T-Shirts mit Maris Kunst. Ihren Onlineshop wollen sie künftig weiter ausbauen und professionalisieren. „Bisher hat sich alles so ergeben, ohne großen Planungsprozess“, sagt die 31-Jährige. Ideen für neue Produkte und Designs gibt es jedenfalls genug, denn Mari fertigt laufend weitere Zeichnungen an. Und der Hunger der Fans nach neuem Material ist groß.

 

 

Herausgeber: WirtschaftsKurier: Boss mit Down-Syndrom - Geschenktes Glück: Wie aus sozialem Engagement ein Unternehmen wird: WirtschaftsKurier - Nachrichten und Kommentare aus Politik und Wirtschaft


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