RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Der Club der 27 und was dies mit Malerei zu tun hat - Teil III

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                        

 

Herzlich willkommen zum dritten und letzten Teil meiner Geschichte über «den Club der 27 und was dies mit Malerei zu tun hat ». Und zu einem Ende, wie Ihr es nicht erwartet habt. Ich bin schon ganz gespannt auf Eure Kommentare.

Nach meiner jeweiligen Wohnzimmerlesung während des Literatur Festivals «Die Rahmenhandlung» stiegen die Zuhörer in den Keller hinab. Und was manche da zu sehen bekamen, kann ich an dieser Stelle leider nicht vorwegnehmen. Nach dem Ende der Geschichte, sollte dies aber klar sein. Und glaubt mir, die Besucher unseres kleinen Anlasses hatten eine grosse Freude daran.

 

Wer den Anfang der Geschichte verpasst hat, kann ihn hier gerne nachlesen:

Teil 1) https://bit.ly/3BW85fB und Teil 2) https://bit.ly/3Am7YJE

 

Was bis anhin geschah: Ihr lernt den Club der 27 kennen und stellt fest, dass ihm mit Jean-Michel Basquiat auch ein berühmter Maler angehört. Ihr erfährt viel über seine Kindheit, über die Trennung seiner Eltern und warum er im Alter von 17 Jahren für immer von Zuhause weglief...

 

Ihr taucht ein in das New York der Siebzigerjahre und begegnet der Welt der Graffitis . Wobei Ihr New York nicht wiedererkennt. Es ist voller Prostituierten, Junkies und Drogendealer. Und wo Ihr nur hinschaut, prangt ein Spruch an der Wand, auf öffentlichen Toiletten, in Telefonzellen und auf den Waggons des D-Trains. Unterschrieben mit «Samo». Und die ganze Stadt fragt sich: Who the f... is Samo?

 

Ihr erlebt den Aufstieg von Jean-Michel Basquiat vom Penner zum Star der New Yorker Kunstszene. Und das alles in weniger als drei Jahren.

Basquiat wollte den Grössen des Jazz und des Sportes huldigen. Und dies auf seine ganz eigene Weise. Denn sein Stil vermengte das Plakative von Graffiti mit der Stammeskunst afrikanischer Völker. Seine Bilder hatten einen wilden, expressionistischen Charakter den er oft mit der Beigabe von Buchstaben, Wörtern und Textfragmenten unterstrich.

 

In seinem Werk, war die Darstellung des menschlichen Kopfes zentral. Der zumeist flächig dargestellte Kopf, den er oft mit einer Krone oder einem Heiligenschein versah. Dies um die Bedeutung des Dargestellten zu unterstreichen. Wollte die Gesellschaft dem schwarzen Künstler schon nicht die gebührende Ehre erweisen, so wollte er, Basquiat, dies in und mit seinem Werk ändern und den bedeutendsten Repräsentanten der afroamerikanischen Kultur Tribut zollen.

 

Skull, dasjenige Werk der Amerikanischen Kunstgeschichte, für das mit 110 Millionnen US Dollar der mit Abstand höchste je erzielte Preis bezahlt wurde, stellt einen Schädel ohne Gesicht dar. Denn der Titel ist irreführend. Was wir hier sehen, ist kein Totenkopf, sondern reinste Anatomie. Wir sehen die Augen, die Nase, die Lippen und die Mechanik, die bei jedem Menschen gleich ist. Völlig unabhängig von seinem Geschlecht, seinem Äusseren und seiner Rasse. Skull bietet uns einen Blick hinter die Fassade des menschlichen Antlitzes, in das Innere eines menschlichen Kopfes. Und das, was da vor sich geht. Aus ihm hinauswächst und aus ihm heraussteigt.

 

Seit Menschengedenken fasziniert uns die Vorstellung des Gedankenlesens, des Wahrsagens und der Hellsichtigkeit. Nur zu gerne würden wir wissen, was sich im Kopf unseres Gegenübers abspielt, was er oder sie denkt, empfindet und wahrnimmt...

Fünf Uhr in der Früh. Der Wecker schrillt, grell und laut. Und Karin schält sich aus dem Bett. Aus dem Bett schälen... eine Redensart, die nicht treffender beschreiben könnte, wie sie ihren hageren Körper aus den Laken befreit, die sie wie ein Kokon über die Nacht eingehüllt hatten. Eng am Leib, Wärme und Geborgenheit spendend.

Die ersten Vögel zwitschern und sie wankt ins Bad, den Schlummer aus ihren Augen reibend. «Guten Morgen» denkt sie beim Anblick ihres Spiegelbildes. Und überlegt sich hierzu eine passende Melodie. Denn ein guter Morgen ist einer, der die Lippen umspült, die Schultern zum Wippen und die Hüften zum Wackeln bringt.

Man startet nicht einfach so in den Tag. Soeben ist man ja der Nacht entflohen. Der Körper hat das Dunkle, die Kühle, die Regeneration hinter sich gebracht. Und der Geist war auf Reisen, in einem anderen Bewusstseinszustand, weit weg.

 

Ganz eigentlich beginnt der Tag mit einem Ablösungsprozess. Den meisten Menschen ist dies aber gar nicht bewusst. Stotternd und taumelnd bringen sie jeweils den Motor ihres Körpers mit einer Dusche, Kaffee, Tee, Selleriesaft oder Kellogg’s Frosties zum Laufen.

In Wirklichkeit aber war man in Wartung, in anderen Sphären und man träumte von... Wie viele Menschen kennt Ihr, die sich nach dem Aufwachen noch an ihre Träume erinnern? Und wie viele Menschen nehmen sich die Zeit, diese auf Papier zu bringen? Die Reisen der inneren Welt festzuhalten?

Aufmerksam betrachtet sie sich im Spiegel. Dieses Gesicht einer Zwanzigjährigen. Straff, gespannt, fast ohne Falten und mit einem Schuss Kakao. Nichts würde darauf hinweisen, dass sie schon über dreissig ist. Jahrgang 1987.

«Babyface» flüstert sie sich zärtlich zu: «Tragen wir die Locken heute offen zu einem Afro, das krause Haar nach allen Richtungen abstehend oder flach nach hinten gedreht?»

Ihre ganz, ganz kleinen, engen Locken drehen sich wie Draht - und vom Kopf abgespreizt bilden sie ein Heer aus Antennen. Antennen mit denen Karin die Welt erforscht. Oder vielmehr... ist dies ihr siebter Sinn. Eine Gabe, die ihr in die Wiege gelegt wurde und nur spielt, wenn die Haarpracht blüht. Dann hört sie die Gedanken anderer Menschen, ahnt Dinge voraus und kann bei Objekten deren Herkunft oder Herstellungsprozess bestimmen.

 

«Ist das nicht anstrengend?» mag man sich fragen, gerade wenn man sich in grösseren Gruppen aufhält. Oder vor ihnen auftritt. Denn Karin ist Sängerin und hat eine lange Karriere als Tänzerin hinter sich. Wie um Himmelswillen will sie sich an die Texte ihrer Songs erinnern, wenn in ihrem Kopf die Stimmen hunderter Zuschauer kreisen? Über ihrem rechten Auge, oben auf der Stirn, prangt ein kleines Muttermal. Ihr Reset Button. Sie braucht nur darauf zu drücken und ihr Kopf ist klar, die Gedanken frei.

Nach einer ausgiebigen Dusche, dem Eincremen ihrer Waden, der Beine, Hände, Füsse und ihrem Hinterteil trifft sie sich wieder vor dem Spiegel. Dabei begrüsst sie sich mit einem kecken «Na» und zwinkert mit den Augen. Vor ihr liegen ihre Schmink- und Make-up Sets, deren Farbfelder einer Malpalette gleich um die Wette leuchten. Die dazugehörigen Pinsel bewahrt sie fein säuberlich in einem kleinen Becher auf. Viel benötigt sie nicht, um sich ihr tägliches Gesicht aufzumalen. Aber sie weiss, dass sie in ihrem letzten Leben Leinwände vollkleisterte. Ein letzter Blick in den Spiegel versichert ihr, dass alles sitzt. Dabei fällt ihr der Tag auf, den sie vor einiger Zeit in die untere rechte Ecke angebracht hatte: Samo. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, und sie verlässt das Badezimmer.

 

Von wegen «Same Old Shit». Ab heute wird Geschichte geschrieben.

Nächste Woche folgt eine Playlist mit den schönsten Songs der frühen 80er Jahre. Damit Ihr sie tanzen könnt, meine Geschichte. Im Gang, auf dem Bett, unter der Dusche, in der Küche und im Wohnzimmer. Überall da, wo Ihr mit Eurem Hintern rankommt!

 

Ganz liebe Grüsse

Euer Alon

 

 

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