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Lauterbach widerspricht eigenem Gesetzentwurf

DMZ –  DIGITAL ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Corona ist natürlich nicht vorbei und ebenso ist es nicht vorbei, dass wir die Pandemie als vorbei erklären. Erneut baut die Politik die mühsam errichtete Infrastruktur ab. Der größte politische Fehler dürfte die zurück gezogene Impfpflicht sein. Nicht, dass viel von ihr zu erwarten gewesen wäre, aber eine Impfpflicht nicht hinzubekommen, dürfte der Impfbereitschaft einen Schaden mehr zufügen.

 

So gehen wir also eine Wette ein, ob die keinesfalls abgeschlossene Evolution dieses Virus im Menschen uns im Herbst eine medizinisch machbare Welle oder erneuten Notstand liefert. Ganz ohne Vorbereitung kann die Bundesregierung aber nicht in den Herbst gehen, denn das Verfassungsgericht hatte gemahnt, die hässliche Sache mit dem bösen Wort „Triage“ genauer zu regeln.

 

Nun betonen Politiker, leider auch Lauterbach selbst, das habe es bei uns nicht gegeben und es sei auch nicht zu erwarten. Ersteres ist schlich unwahr, denn die sogenannte „weiche Triage“ in Form von verschobenen OPs und durch Corona verdrängten Behandlungen im Gesundheitswesen hat es definitiv gegeben. Zudem wurden, so lange ist es nicht her, in Deutschland Patienten mit Bundeswehrmaschinen verlegt, weil die Gesundheitsversorgung regional erschöpft war. Wir sollten uns an Berichte erinnern, wie mit erheblichem Aufwand ein paar Dutzend Menschen ausgeflogen wurden, während wir zugleich von täglichen Neuaufnahmen im dreistelligen Bereich lesen mussten.

 

Was tatsächlich an Triage passiert ist und welche Folgen das hatte, also welche Kollateralschäden im Gesundheitssystem entstanden sind, wird hoffentlich mal sorgfältig untersucht. Lauterbach selbst hatte das stets thematisiert, es ist gewissermaßen ein Verlust, dass er nun als Regierungsmitglied kommunizieren muss.

 

Wie diese Regierung arbeitet und welche Entscheidungen insbesondere im Corona-Management von ihm stammen oder auch nur mitgetragen werden, kann man anhand des Gesetzesentwurfs zur Triage nun zumindest ahnen. Denn hier legt das Ministerium von Lauterbach einen ersten Entwurf vor, von dem der Minister sich nach heftigem Protest persönlich distanziert. Es geht um die sogenannte Ex-post-Triage. Darunter versteht man den Abbruch einer bereits eingeleiteten Behandlung bei einem Patienten zugunsten eines anderen mit besseren Aussichten.

 

Ja, auch solche brutalen Szenarien gehören zu dem Spektrum, welches das Verfassungsgericht der Regierung als Auftrag gegeben hat. Wer den letzten Winter nicht vergessen hat, sollte sich bewusst machen, dass wir davon nicht sehr weit weg waren. Als graue Theorie ist das kaum zu betrachten. Der Entwurf sieht dazu eine Regelung vor, der Minister distanziert sich und sagt, das sei nicht zu regeln, so etwas komme nicht in Frage, Ex-post sei „ethisch nicht vertretbar“. Wie kann es nun zu so einem Widerspruch kommen?

Die in Fragen zu den Interessen hinter den Kulissen meist ganz gut informierte FAZ  vermutet den FDP-Justizminister hinter der Formulierung. Ferner geht der Beitrag davon aus, dass ein finaler Entwurf zu dieser heiklen Frage sowie ein weiterer zur ebenso strittigen Krankenkassenfinanzierung auf gemeinsamen Wunsch von SPD und FDP vor der Wahl in NRW nicht vorgelegt und diskutiert werden soll.

 

Das ist ein typischer politischer Willensbildungsprozess in einer Koalitionsregierung. Dieser erste Entwurf wurde natürlich nicht zufällig der Presse zugespielt, so dass die öffentliche Empörung, die Lauterbach dann Gelegenheit gab, sich davon zu distanzieren, ebenso wenig zufällig zustande kam. Es ist auch normal im politischen Betrieb, Themen, die kaum „Honig“ versprechen, nicht gerade vor wichtigen Landtagswahlen vorzulegen.

 

Was aber nicht normal ist, sind Krisen wie eine Pandemie oder ein Krieg, Entscheidungen zur Triage oder zu Waffenlieferungen. Es ist unerträglich, dass der politische Betrieb auch bei diesen Themen im Normalmodus läuft. Wenn Buschmann nichts geringeres als eine Ex-post-Triage für richtig hält, soll er sich offen dafür einsetzen. Wenn Teile der Regierung gegen Waffenlieferungen sind, sollen sie dafür offen eintreten.

 

Das sind keine Themen, die man in die Öffentlichkeit spielt, um Empörungswellen auszulösen, die den politischen Entscheidungsprozess in die eine oder andere Richtung bewegen. Das sind auch keine Themen, zu denen uns die wahre Absicht der Entscheidungsträger unbekannt bleiben darf.

 

Es geht hier nicht um die Tabaksteuer, das sind existenzielle Fragen, bei denen wir das Recht haben, zu erfahren, welche Richtung die Entscheidungsträger verfolgen. Was passiert, wenn das politische Kommunikationsspielchen auch bei solchen Themen bedient wird, haben wir bei der Corona-Spaltung bereits erlebt und jetzt diskutiert die Öffentlichkeit über Waffentechnik und Frontberichte.

Das ist nicht gut, denn es wird nicht dabei bleiben. Corona ist nicht vorbei, der Krieg ist nicht vorbei und die ökonomischen Folgen beider Krisen sind noch gar nicht angekommen.

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