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Aus der Mongolei

DMZ –  INTERNATIONAL ¦ Ruedi Stricker ¦              

 

„Und sie leben auch in Jurten?“ „Ja, Sumiya guai, aber ihre Jurten sind aus Stein gebaut. Sie können

 

sie nicht auf Pferde laden und mitnehmen wie wir.“

 

„Dann sind sie also sesshaft geworden?  Ja, ich

habe von diesem Volk gehört. Es soll weit im Westen wohnen.“ „Nein, Sumiya guai, sie sind nicht sesshaft. Sie schlafen zwar in ihren Steinjurten, aber sie leben nicht dort. Sie sind ständig unterwegs zwischen ihren Schlafjurten und riesigen Steinzelten, in denen sie ihrem Tagewerk nachgehen.“ „Hüten sie ihre Herden in diesen Steinzelten?“ „Nein, Sumiya guai, sie reden dort und malen Zeichen auf dünne weisse Matten.“ „Können sie denn das nicht in ihren Schlafjurten machen?“ „Nein, das ist verboten.“ Sie haben für jeden Zweck eigens dafür gebaute Jurten. Die einen sind zum Schlafen da, in den anderen arbeiten sie, und wiederum andere Jurten sind dafür gebaut, gegen Geld Reisende zu verpflegen.“ „Gegen Geld? Kennt dieses Volk denn keine Gastfreundschaft?“ „Nein, Sumiya guai, dieser Brauch ist dort nicht bekannt. Du musst wissen, dass dort so viele Reisende an den Schlafjurten vorbeifahren, dass es unmöglich ist, jeden Einzelnen zu bewirten.“

 

„Hashbat, ich beginne zu verstehen. Dieses Volk besteht aus Sesshaften, die den ganzen Tag in der Steppe herumreiten. Haben sie denn auch genug Gras für ihre Pferde?“ „Sie haben keine Pferde. Sie bewegen sich in eisernen Kesseln auf runden Beinen. Das sind seltsame Karren, die laut brüllen und stinken wie angebrannte Stutenmilch.“ „Du meinst, sie reiten auf diesen Kesseln durch die Steppe?“ „Nein, Sumiya guai, sie haben steinerne Wege gebaut, die das ganze Land überziehen und durch jedes Dorf führen.“ „Du sagst, sie fahren mit diesen lärmenden Kesseln in ihre Dörfer hinein?“ „Ja, und es gab eine Zeit, in der die Dörfer fast erstickten in Lärm und Gestank. Aber dieses Bergvolk ist schlau. Sie ersannen neue Strassen, die an den Dörfern vorbeifahren. Und da diese Eisenkarren sehr schnell rennen können, haben sie immer gleich zwei Strassen nebeneinander gelegt. Auf einer Strasse rasen sie nun gegen Westen, auf der anderen gegen Osten.

 

So kommen sie sich nicht in die Quere.“ „Und wie gelangen sie ins Dorf? Müssen sie zu Fuss gehen, da sie doch keine Pferde haben?“ „Nein, viele von ihnen fahren immer noch ins Dorf. Du musst wissen, Sumiya

guai, als die Eisenkessel die bewohnten Gebiete und die Märkte mieden, litten die Händler. Sie schickten Unterhändler zum Fürsten und verlangten, dass die Benutzung der Strassen ausserhalb der Dörfer mit einer Strafsteuer belegt wird. Für jeden Eisenkarren, der auf den grossen Strassen fährt, muss nun jeden Winter ein farbiger Wimpel gekauft und an das Fenster geklebt werden. Jetzt fahren wieder mehr Eisenwagen in die Dörfer, und die Händler machen wieder mehr Geschäfte.“ „Haben sie denn jetzt mehr Strassen, als sie brauchen?“

„Nein, Sumiya guai, sie bauen sich immer mehr Eisenwagen, und sie müssen immer weiter weg fahren. Und weil es ihnen in der versteinerten Steppe nicht mehr wohl ist, reisen sie in andere Länder, so oft sie können.“ Und dafür braucht es wieder neue Wege.“ 

„Und schnellere Eisenwagen. Womit werden diese Wagen gefüttert? Mit Hafer?“ „Nein, sie trinken Öl.“ „Sesamöl?“ „Nein, das Öl pumpen sie tief aus der Erde. Sie verwenden es auch, um ihre Jurten im Winter zu heizen.“ „Hattest du nicht gesagt, sie hätten in jedem Dorf mehr Wald als in der ganzen mongolischen Steppe wächst?“ „Doch, Sumiya guai, aber sie lassen den grössten Teil des Holzes verfaulen. Sie haben keine Zeit für das Fällen von Bäumen, da sie sehr beschäftigt sind. Ihr Tagewerk dauert sehr lang, und die Fahrten in den Eisenkesseln nehmen zusätzliche Zeit in Anspruch.“

 

„Hashbat, ist denn dieses Volk glücklich?“ „Ich weiss nicht, Sumiya guai. Sie haben mehr zu essen als

wir, ihre Jurten sind viel grösser als unsere, aber sie tanzen nicht, und ihre Musik kommt aus geisterhaften Kisten. Sie haben keine Zeit für Musse, und ihre Gesichter sind grimmig. Ihr Gott will von ihnen, dass sie sich zu Tode arbeiten und ihren Söhnen und Töchtern eine Unmenge an Eisen und Steinen hinterlassen.“

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