RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Die Kuchenschlacht

Potrait von Olivia Aloisi
Potrait von Olivia Aloisi

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦                                         Potrait von Olivia Aloisi 

 

Die Kuchenschlacht oder über die unbändige Lust, jemandem so richtig herzhaft eine Torte ins Gesicht klatschen zu wollen. Hier kommt der Versuch, die Kulturgeschichte der Essensbewerfung wiederzugeben. Herzlich willkommen.

 

Mit seinem Essen zu spielen, ist ja ganz eigentlich eher ein kindliches, infantiles Glück und lässt zumeist im Alter von sieben oder acht Jahren nach. Bis man dann als Teenager die Freuden von Honig, Konfitüre oder Nutella nicht nur an seinem eigenen Finger, sondern auch am Finger seines jeweiligen Partners oder der Partnerin entdeckt. Geschweige all der anderen Körperstellen, auf denen sich die glitzernden Brotaufstriche genauso gut präsentieren.

 

Und dann gibt es natürlich noch die eine oder andere Künstler*in, die aus diesem unreifen Vergnügen grossartige Kunstwerke schöpft. Man denke da nur an die Wurstserie von Fischli & Weiss, die aus Aufschnitt, Charcuterie und Wurst gefertigten Szenen, Bilder und Landschaften, oder an Daniel Spoerri, der 1970 die Eat Art Galerie in Düsseldorf gründete und für die zahlreiche berühmte Künstler*innen wie Dieter Roth, Joseph Beuys und Roy Lichtenstein Objekte aus essbaren Materialien und Lebensmittelabfällen produzierten.

 

Beigebracht hat man uns ja, dass man mit dem Essen nicht spielen soll. Aber all die Regeln, die uns Dinge verbieten, wurzeln im Drang, in der Lust, ja im Bedürfnis, genau diese Dinge zu tun...

 

Bei einer Tortenschlacht geht es darum, jemand anderen mit einer Essware zu bewerfen. Sein oder ihr Gesicht in ein solches Backwerk zu drücken, es platt und unkenntlich zu machen, so, dass es uns am besten weiss oder dann zumindest in Quark, Creme und luftigem Tortenboden eingeschäumt entgegenstrahlt. Sollte sich dabei eine Erdbeere auf der Stirn verirrt haben oder etwas Schokostreusel auf die Backen gefallen sein, nehmen wir dies gerne in Kauf.

 

Lustvoll und befriedigend ist dabei nicht nur das Resultat, sondern der Akt an und für sich: das Schmeissen, Pressen, Pfropfen und Stopfen. Am liebsten würden wir unserem Opfer von hinten auflauern, während es gerade dabei ist, in grösster Glückseligkeit die Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auszublasen. Um es dann am Hinterkopf zu packen und seine elende Fratze dermassen in die Süssware zu stecken, dass ihr die Luft ausgeht.

Ihr seht, eine Kuchenschlacht weckt ganz andere Lüste als ein süsses Tête à Tête. Da ist man meilenweit davon entfernt, seinem Gegenüber die Sahne aus dem Gesicht zu lecken, das Marzipan von der Lippe zu küssen oder die Praline von der Nasenspitze zu beissen. Dieses Vergnügen ist wie ein Waldspaziergang im tiefsten Winter, der in einer Schneeballschlacht mündet. Hier möchte man seiner spielerischen Böswilligkeit Genüge tun.

 

Historisch gesehen finden sich die ersten kollektiven Essensbewerfungen im Mittelalter wieder. Oder wer weiss, wahrscheinlich haben sich die Griechen und Römer in ihren legendären Orgien schon mit Nahrungsmitteln beschmissen. Nur findet sich hierzu, oder sagen wir mal fand ich hierzu, keine Quellen. «Asterix bei den Helvetiern» ausgenommen...

 

Offenbaren kann ich aber an dieser Stelle, dass seit 1808 im italienischen Ivrea (Piemont) jeweils zu Fasnacht die Battaglia delle Arance, eine öffentliche Orangenschlacht durchgeführt wird. La Tomatina, ein spanisches Fest, indem sich die Feiernden gegenseitig mit Tomaten bewerfen, findet seit August 1945 jedes Jahr in Bunol (bei Valencia) statt. Und in Deutschland gab es in Berlin zwischen 1998 und 2013 die Gemüseschlacht. Da rückte man sich gegenseitig mit faulem Obst und Wasserwerfern zu Leibe.

 

Tortenschlachten wurden seit der frühen Stummfilmzeit bis weit in die Epoche des Tonfilms hinein als regelmässiges und effektives Mittel filmischer Comedy Einlage verwendet. Unter anderem in den Werken der Marx Brothers, von Dick und Doof, sowie später auch von Jerry Lewis und vielen mehr.

 

Der Einsatz dieses Gags reicht bis weit ins Varieté Theater das 19. Jahrhunderts zurück. Das Motiv mit seiner plakativen Komik war dem Publikum überdies auch von Wurfbuden auf Jahrmärkten bekannt. Im Laufe der Jahre wurde die Kuchenschlacht allerdings dermassen stark beansprucht, dass den Zuschauern die Lust daran verging. Es wurde nur noch als plattes Stilmittel empfunden...

 

Daher wird seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die filmische Verarbeitung dieses plastischen Witzes nur noch sehr spärlich eingesetzt. Eine detaillierte Anleitung mit allerlei Varianten, wie denn die Torte am besten zu werfen sei, wird von der britischen Komikertruppe Monty Python im Film «Monty Python Live at the Hollywood Bowl» in typischer, völlig überdrehter Manier zum Besten gegeben.

 

(Siehe: https://bit.ly/3UmVVWF) Und im Streifen «Die Schlacht des Jahrhunderts» von 1927 mit Stan Laurel und Oliver Hardy wurde eine bis dahin beispiellose Essensbewerfung gezeigt, bei der sage und schreibe 3000 Torten zum Einsatz kamen. (Siehe: https://bit.ly/2yxB8XN)

 

Der erste einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene politisch motivierte Tortenwurf, war der des belgischen Komikers Noel Godin (Siehe: https://bit.ly/3Uw2Xbx) gegen die französische Schriftstellerin Marguerite Duras im Jahre 1969. Der Medienerfolg dieser Aktion ermutigte Godin dazu, die Tortung zu seinem Markenzeichen zu machen. Der bis heute aktive Künstler und sein Freundeskreis torteten in den folgenden Jahrzehnten eine Vielzahl bekannter Prominente. Darunter auch Bill Gates, womit er zu internationaler Bekanntheit gelangte. Diese Aktion fand viele Nachahmer. In den letzten Jahren und Jahrzehnten kamen daher auch Leute wie Christoph Blocher, Nicolas Sarkozy, Sahra Wagenknecht, Beatrix von Storch, Thilo Sarrazin und die Mona Lisa vor die Torte.

 

Ein aktuelles popkulturelles Phänomen bilden die «Cake Me» Schilder der Steve Aoki Fans, eines EDM (Techno) Stars, die diese anlässlich seiner DJ Auftritte in die Höhe halten. Für viele seiner Anhänger ist das Abbekommen einer von ihrem Idol geworfenen Torte ein absolutes Highlight. Schliesslich ist der Gebäckwurf eines seiner Erkennungszeichen. (Siehe: https://bit.ly/3G47Jc5)

 

Verabschieden möchte ich mich für heute mit der Ankündigung einer virtuellen Tortenschlacht auf Facebook. Die letzten Wochen und Monate waren garstig genug. Lasst uns etwas Biskuit und Sahne in unser Leben bringen!

 

Ganz liebe Grüsse

Euer Alon

 

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