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Trivial und kontrovers zugleich – Studien und Berichte zur Klimakrise

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die existenziellen ökologischen Herausforderungen der Menschheit sind interessanterweise sowohl trivial als auch besonders kontrovers. Die Diskussion läuft seit Jahrzehnten in genau dem Spannungsbogen. Es war schon interessant, wie auf die ersten Studien des Club of Rome reagiert wurde. Deren Feststellung, dass im endlichen Raum unendliches Wachstum nicht möglich ist, kann man schwerlich „diskutieren“, aber der Forscherkreis hatte den kommunikativen Fehler begangen, seinen Aussagen sehr konkrete Berechnungen beispielsweise zur Erschöpfung der Ölreserven beizufügen. So stürzte man sich auf deren methodische Mängel und belächelt das noch heute.

 

Teilweise ist es bei der Klimadebatte immer noch dabei geblieben, wobei die harten Leugner des Problems zumindest weniger werden – leiser sind sie leider nicht. Immerhin wird heute mehr über Lösungen gestritten als über die Relevanz des Problems an sich. Ein sehr zäher Prozess, der sich ebenfalls in dem Spannungsbogen zwischen trivial und kontrovers bewegt.

 

Eine in Nature (alle Quellen weiter unten) veröffentlichte Studie von Wiedmann et al. zeigt sehr eindrucksvoll, wie das seit den 70ern mit dem Wachstum und den Ressourcen verlaufen ist (Chart1): Das Wirtschaftswachstum hat sich demnach von den CO2-Emissionen entkoppelt, nicht aber vom Verbrauch anderer Ressourcen („material footprint“). Ein sehr wichtiges Chart, denn es zeigt, dass wir nicht „nur“ über CO2 und Klima reden sollten. Das mag aus heutiger Sicht die größte Bedrohung sein, aber wir erleben seit Jahrzehnten, dass wir ein Thema nach dem nächsten entdecken und daher doch grundsätzlicher Denken sollten. Hinter diesem „material footprint“ stecken auch endliche Ressourcen, es bedeutet aber auch Emissionen, Abfälle etc. mit allen ökologischen Folgen.

Wiedmann et al. schließen in ihrer Studie, dass technologischer Fortschritt zur Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs nicht ausreicht und insofern eine Änderung unserer Lebensweise hinzu kommen muss. Das ist eine Diskussion, die bekanntlich besonders kontrovers verläuft. Aus meiner Sicht ist die Argumentation an dieser Stelle soweit zwar schlüssig, aber verkürzt, denn zwei Fragen blenden die Forscher aus: Warum ist der technische Fortschritt zu langsam und kann die Änderung unserer Lebensweise als Lösung überhaupt gelingen? Das ist keine Kritik an der Methodik der Studie, denn sie hat diese Fragen nicht behandelt, was man ihr nicht vorwerfen kann. Studien leisten keine allumfassende Antwort, sondern stets eine methodisch wissenschaftlich saubere Beantwortung von Fragestellungen in einem begrenzten Raum. Genau deshalb darf unterschieden werden zwischen den Ergebnissen von Studien und deren Einordnung in einen größeren Raum.

 

Parallel zu den vielen Studien die nun wegen des aktuellen Klimagipfels erscheinen, veröffentlichte die UN den Bericht zur Bevölkerungsentwicklung mit der Feststellung, dass nun erstmals 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten leben. Die New York Times hat dazu einen sehr kritischen Beitrag gebracht, der darauf hinweist, welche ernsten Themen sich hinter dieser Gesamtentwicklung verbergen. So berichtet die UN einerseits von alternden Gesellschaften u.A. in China, Europa und Nordamerika mit entsprechenden gesellschaftlichen Folgen sowie von dramatisch wachsenden Populationen insbesondere südlich der Sahara, wo geradezu dysfunktionale urbane Siedlungsstrukturen unkontrolliert entstehen, die sich übrigens ausgerechnet in einer Region befinden, die vom Klimawandel sehr wahrscheinlich besonders betroffen sein wird: An flachen Küsten und vor sich ausdehnenden Wüstenlandschaften. Das hält Samira El Ouassil nicht ab, im Spiegel eine grantige Kolumne zu schreiben, in der sie das Bevölkerungswachstum begrüßt und alle Kritiker in diverse Lager von Irrtümern bis zu Rassisten verortet. Wir können uns also nicht mal darauf einigen, dass das Wachstum unserer Weltbevölkerung im endlichen Raum ein Problem ist, geschweige denn auf dessen regional sehr unterschiedlichen Auswirkungen. Merkwürdig.

 

Die Begründung von El Ouassil lautet übrigens im Kern, es stehe niemandem zu, darüber zu befinden, wer wie viele Kinder haben wolle (was soll man schon dagegen sagen?) und die ökologischen Probleme der Welt würden zudem nicht von der Masse, sondern von einer Minderheit verursacht. Das ist nun ein wunderbares Beispiel, weshalb ein trivial erkennbares Problem so kontrovers werden kann: Sobald man nämlich anfängt, es in Teilursachen zu zerlegen und diese gar zu gewichten, landet man schnell im Dschungel. Dort verirrt man sich entweder oder kann seinen Neigungen beliebig Raum geben. El Ouassil ist vielleicht von einem Weltbild geprägt, das die Rolle westlicher Industriegesellschaften besonders kritisch und die von Entwicklungsländern eher romantisch zeichnet, da passt so eine Feststellung recht gut, denn: In diesem Dschungel kann man jede Sicht mit passenden Daten bestens begründen.

 

Das zeigt die New York Times in einem Beitrag zur Verantwortung für den Klimawandel. Hier wird El Ouassil sofort bestätigt, denn (Chart2) tatsächlich sind die 23 reichsten Länder der Erde für die Hälfte der – bisherigen! – CO2-Emissionen verantwortlich und dabei stellen sie (Chart3) nur 12% der Weltbevölkerung. Genau hier sehen wir einen Grund für die globale Kontroverse, denn dahinter verbirgt sich natürlich nichts geringeres als die bisherige Verteilung von Wohlstand und Lebensweise, wenn man das mal so verkürzt ausdrücken möchte. Nun ändert sich das aber bekanntlich seit einigen Jahrzehnten, denn es gibt immer mehr Länder, die zudem immer schneller aufholen, also Lebensweise und Wohlstand der zuvor entwickelten Länder ebenfalls beanspruchen. Dadurch (Chart4) stimmt diese Gleichung der historischen Verantwortung nicht mehr und sie wird sich in Zukunft noch mehr zu den bisher unterentwickelten Regionen verschieben.

El Ouassil et al. haben also Recht, wenn man die Vergangenheit sieht und Unrecht, wenn man die Zukunft bewertet. Hinzu kommt, dass die Sache mit der Verantwortung aktuell immer noch enorm asymmetrisch verteilt ist, wenn man die pro Kopf Emissionen (Chart5) bewertet: Da liegen Nordamerikaner immer noch vorne, Chinesen und Europäer aber bereits ähnlich, während Inder, Afrikaner und Südamerikaner weit hinten rangieren.

 

Die Auswüchse dieser Bewertung von Teilursachen erleben wir täglich. Jeder kann von sich behaupten, dass er nichts bewegen kann und andere entweder historisch oder zukünftig eigentlich die Sünder sind, die mit dem Verzicht oder der Verhinderung also den Anfang zu machen haben. Je kleiner man sich selbst macht, desto besser funktioniert das natürlich.

 

So logisch das alles klingt, so trivial falsch ist es natürlich, denn Wachstum muss in Schrumpfung übergehen, was sogar beim CO2 (Chart4) inzwischen allen Regionen gelingt, aber (Chart1) leider zu langsam – und zwar deutlich zu langsam. Daher müssen alle schneller schrumpfen und keiner kann in diesem Gesamtsystem eine kausale Rechtfertigung finden, weshalb andere damit anfangen sollten. Das Schiff sinkt, weil es Wasser zieht und das Wasser muss raus, jeder Tropfen.

 

Diese Diskussionen über Teilverantwortlichkeiten in einer Gesamtverantwortung sind natürlich tatsächlich etwas ganz anders: Sie drücken den allgemeinen Unwillen aus, etwas zu ändern. Der hat sicher sehr unterschiedliche Gründe, das reicht von Bequemlichkeit bis zur Unfähigkeit, es besser zu organisieren – was gerne mit angeblichen Finanzierungsproblemen oder vermeintlich sozialen Gründen verschleiert wird.

Ich denke daher, dass es zu einer grundlegenden Änderung im globalen Management der Herausforderungen kommen sollte. Statt nämlich auf einer Meta-Ebene über beispielsweise CO2-Emissionen und Einsparziele zu streiten, sollten wir uns viel konkreter die jeweiligen technischen/physikalischen Ursachen anschauen, um dazu Lösungen zu entwickeln. Wie das gehen kann, findet sich in einer Studie der IEA zur globalen Nutzung von Kohle als Energieträger – und damit dem physikalisch führenden CO2-Verursacher.

 

Hier sehen wir nämlich nochmals ganz andere Asymmetrien sowie auch Verantwortlichkeiten als bei den Gesamtbilanzen und man ist hier weitaus konstruktiver in der Nähe von Lösungen. Bei der Kohle gibt es nämlich einen enormen Anteil bei China, Asien/Pazifik und Indien (Chart6). Nebenbei bemerkt: Bei Öl und Gas sieht es anders aus, Kohle sei hier nur als Beispiel tiefer betrachtet, um zu zeigen, wie andere Lösungswege als der Streit um Bilanzen aussehen könnten. Vollkommen idiotisch ist es insbesondere, dass (Chart7) zwei Drittel dieses gigantischen Kohleverbrauchs zur Stromproduktion verwendet wird.

Das ist ebenso verständlich wie überflüssig. Kohle ist weltweit sehr breit verfügbar, billig zu fördern und Kohlekraftwerke sind eine sehr simple, robuste und zuverlässige Technologie. Daher hat sich dieser Brennstoff zur Stromproduktion weltweit etabliert. Es ist übrigens auch hier mal wieder falsch, nur diese Bilanzen wie in Chart7 zu betrachten, denn der Anteil an der Kohleverstromung (Chart8) ist weltweit noch sehr unterschiedlich verteilt, teilweise auch noch Mitten in Europa, so im Kosovo, wo ein Unternehmen, das ich als AR unterstütze, erst im letzten Jahr mit einem Windpark eine fürchterliche Dreckschleuder an Braunkohlekraftwerk abgeschossen hat. Wir sehen hier beispielsweise Polen, Australien, Korea, Japan weit oben und auch der Wert in Deutschland ist einfach nur traurig. Aber Großverbraucher wie China und Indien liegen ebenfalls noch bei der Kohle als führendem Kraftstoff für die Stromerzeugung.

Chart9 zeigt, wie sich das bei der Kohle mit historischer versus zukünftiger Emission fortsetzt und leider, dass alleine die Kohleverstromung bereits einen sehr ernsten Anteil am Klimawandel hat. Wie überflüssig das ist, sieht man an Chart10, denn hier sind die aktuellen Planungen für die Stromsysteme zusammengefasst. Für die Fans von Kernenergie, die gerne behaupten, die ganze Welt setze auf diese Technologie außer dem dogmatischen Deutschland vielleicht die Erkenntnis, dass dem nicht so ist. Kernenergie soll demnach einen überschaubaren Anteil haben und da ich gerne als Kernkraftgegner gesehen werde, gleich die Klarstellung: Das ist gut so, der Mensch sollte diese Technologie weiter entwickeln. Es macht aber keinen Sinn, ihr etwas zuzuschreiben, was sie nicht leisten kann.

 

Das Chart zeigt vielmehr, dass den Erneuerbaren Energien weltweit zukünftig der maßgebliche Anteil an der Stromproduktion zukommen wird. In den entwickelten Volkswirtschaften etwas weniger langsam, in den anderen noch langsamer. Das ärgerliche daran: Es gibt schlicht keinen technischen oder finanziellen Grund, weshalb unter diesen Charts diese Jahreszahlen stehen, es ist ein kollektives Versagen der Menschheit, diese technologische Transformation so langsam zu vollziehen und sie läuft auch jetzt weder schnell, noch optimal, weil jeder sein eigenes Versagen weiter pflegt, statt gerade bei den Erneuerbaren globale Lösungen zu entwickeln, die einen ganz anderen Fokus haben könnten: Nämlich deren optimale Produktion und Ausbeute. Am Ende dieses Charts wird der Strom nicht nur klimaneutral sein, sondern auch billiger – und dafür sind weder neue Technologien erforderlich, noch fehlen dafür global Ressourcen oder Kapazitäten an Arbeitskraft.

Zu der Studie nur kurz noch der Hinweis, dass es bei dem letzten Drittel der Kohle als Brennstoff, das ist im Wesentlichen die industrielle Produktion (Chart11) nicht ganz so einfach ist bzw. sein könnte, denn hier ist die Nutzung fossiler Brennstoffe (Kohle, Gas, Öl) noch essentiell und die von Erneuerbaren Energien technisch teilweise ungelöst. Betrachtet man aber Chart12, so schließt sich der Kreis zu Einleitung dieses langen Textes, denn wir sehen, dass es nur wenige Industrien sind, die diesen Verbrauch dominieren: Stahl, Zement und Chemie. Hier gilt es also ganz offensichtlich, sowohl neue Technologien zu deren Produktion zu entwickeln als auch Folgeprodukte zu kreieren, die mit weniger Zulieferungen aus diesen Bereichen auskommen.

Das ist auch mein vorsichtiges Fazit dieser kontroversen Debatte. Ich finde es vollkommen richtig, wenn über Änderungen unseres Lebensstils diskutiert wird. Wir müssen nicht Dinge konsumieren, nur weil wir das können. Wir müssen auch nicht Konsum mit Versorgung verwechseln, ein Luxusbedürfnis zum Grundbedürfnis erheben. Wir müssen auch nicht Konsum zum kulturell/gesellschaftlichen Wert erheben oder ihn gar zum Kriterium für unseren Selbstwert machen. Es gibt sehr viele und wichtige Aspekte, die es dabei zu diskutieren gibt und die jeder individuell auch für sich mit mehr Abstand neu bewerten sollte. Ich hatte mir diesbezüglich aus der Corona-Krise mehr Impulse erhofft und auch gewünscht.

 

Was ich aber sehr kritisch sehe, sind Positionen und entsprechende beliebte Bücher, die daraus irgendwelche Aufforderungen zum Verzicht von diesem und jenem erheben. Das kann man machen, wenn man sich damit beschäftigt, wie das gesellschaftlich funktionieren soll, ob es zu einer wertvolleren Lebensweise führt und ob es überhaupt den Herausforderungen gerecht werden kann, also nicht nur behauptete, sondern tatsächliche Lösung sein kann. Wer also auf einer Meta-Ebene unsere bestehende Lebensweise in Frage stellt, sollte ein Modell für eine bessere dagegen setzen und aufzeigen, dass die unsere Probleme löst. Wenn es aber bei eher beliebigen Aufzählungen bleibt, wir müssten auf Mobilität, Flüge und Kreuzfahrten verzichten, ist das nur methodisch das Gegenstück von der anderen Seite, die sagt, die Chinesen müssten halt mit allem mal anfangen, bevor sich anderweitig etwas lohne. Das sind nämlich exakt genauso eher willkürlich oder aus eigenen Vorstellungen entwickelte Teilverantwortlichkeiten, die es im Rahmen der Gesamtverantwortung nun angeblich sein sollen.

 

Was ebenfalls zu kurz kommt, ist die Frage, warum wir nicht in der Lage sind, unsere bereits existierenden technischen Möglichkeiten besser zu nutzen und warum wir immer noch so viele Ressourcen investieren, um genau die falschen weiter zu entwickeln. Damit will ich nicht die These unterstützen, wir könnten alle Probleme mit Technologie lösen, aber sie ist ein essentieller Baustein, den wir bei weitem nicht ausnutzen.

So werden wir unsere Lebensweise ohnehin ändern, Lanz nannte das bekanntlich „Anpassungsfähigkeit“. Das Spektrum dafür ist historisch belegt und wird vermutlich auch wieder in vollem Umfang auf uns zukommen: Massensterben, Migration, Krieg. Viele übersehen leider, dass die meisten Forschungsergebnisse zum Klimawandel ja nicht damit enden, dass es zu Überflutungen, unbewohnbaren Regionen und Naturkatastrophen kommen wird – sie setzen sich vielmehr mit den weiteren Folgen auseinander.

 

Die Menschheit hat heute viel mehr Wissen und auch Technologie, um diesen Prozess zumindest ein wenig zu gestalten. Es wäre eine absurde Hybris, anzunehmen, wir könnten ihn bestimmen. Das könnte uns nicht mal gelingen, wenn wir uns optimal organisieren würden. Trotzdem ist genau das anzustreben.

 

 

 

 

 

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