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Ergebnisverdopplungen als „Wettbewerb“ im Synchronschwimmen

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR 

 

Die Entwicklung an den Energiemärkten führt zu einem Aderlass für viele Volkswirtschaften, der nicht leicht zu stoppen ist, aber zu Konsequenzen führen muss. Sowohl Art als auch Umfang von Krisengewinnen machen Abhängigkeiten und Marktstrukturen deutlich, die so keinen Bestand haben dürfen.

 

Wenngleich es schwierig wird, das auf Ebene von einzelnen Unternehmen mit steuer- oder kartellrechtlichen Mitteln rechtssicher festzustellen, sind die Meta-Daten aus meiner Sicht vollkommen eindeutig: Der HWWI-Index (Chart1) zeigt, dass die Energierohstoffe – das ist ein gewichteter Index für alle erforderlichen Brennstoffe, also Öl, Gas, Kohle etc. – zwar immer noch auf einem hohen Niveau, aber längst bereits in der Bandbreite der Jahre 2011 bis 2014 angekommen sind. Das gilt auch für den währungsbereinigten Euro-Verlauf. Der Ölpreis (Chart2) liegt bereits unter diesen Jahren. Deutlich teurer ist vor allem noch Erdgas, sonst wäre der HWWI-Index ebenfalls bereits unter diesen Jahren.

 

Unsere Endverbraucherpreise haben sich von diesen Primärpreisen aber entkoppelt. Sprit- und Strompreise (Charts 3+4) sind davon gelaufen. Beim Sprit gibt es dafür außer Preissetzungsmacht der Ölkonzerne keine Begründung, beim Strom ist das immer noch der Gaspreis, was aber genauso wenig akzeptabel ist.

Wo diese Entkopplung landet und dass es keinen funktionierenden Wettbewerb mehr gibt, erkennt man an den fast schon synchron steigenden Gewinnen in der Energiewirtschaft. Hier ist eine Verdopplung nämlich der neue Standard und der wird von sehr wenigen Ausnahmen, die sich meist durch Abhängigkeiten vom weg gebrochenen Russlandgeschäft erklären, mit in der Form selten gesehener Einheitlichkeit überall geboten.

 

Die vier größten westlichen Ölkonzerne, Shell, Exxon, BP und Total werden in diesem Jahr laut Analysten 200 Milliarden USD Gewinne ausweisen. Der größte Ölförderkonzern, Saudi-Aramco, hatte zuletzt 2022 einen Halbjahresgewinn von 90 Milliarden gemeldet. Alleine diese Konzerne dürften wohl um die 400 Milliarden an reinen Gewinnen aus unseren Volkswirtschaften abschöpfen – in nur einem Jahr. Das ist trotz deren Dominanz aber nur ein Teil, denn von Konzernen der „zweiten Reihe“ wie eine Chevron in den USA oder die norwegische Equinor bis zu den vielen größeren Versorgern wie RWE, OMV gibt es an der Zahl nicht wenige und deren Ergebnisse sind oft im ein- oder zweistelligen Milliardenbereich. Dabei ist zu beachten: Wir reden von Konzerngewinnen mit allen Absetzungen, Abschreibungen und Gestaltungsmöglichkeiten. So wurden dort sowohl die Verluste aus Russland vorher bereits abgezogen, Gehälter und Boni sowie alles, was in Steueroasen verschoben wurde.

 

Die Gesamtgewinne sind also noch gar nicht absehbar, es würde mich nicht wundern, wenn die Billion 2023 überschritten wird. Diese Gewinne sind durch nichts zu rechtfertigen! Es handelt sich hier um eine industrielle Leistung mit geringer Innovation. Überwiegend sind das Standardangebote, die in funktionierenden Märkten zu einem Preiskampf zwischen den Anbietern führen würden. Diese Branche aber hat es längst verstanden, ihre Kapazitäten knapp zu halten, Preissetzungsmacht aufzubauen und offensichtlich auch synchron zu nutzen.

 

Das oft zitierte Rezept dagegen, der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, ist zu einseitig gedacht. Wir sehen hier folgende Effekte: Diese Transformation wird lange dauern und die Konzerne haben Strategien gefunden, den Ausstieg mit hohen Preisen zu durchlaufen. Diese Mittel fehlen außerhalb der Profiteure für Investitionen in die Energiewende. Zugleich sind es eben diese Akteure, die parallel neue Energieträger erschließen, um dabei aber ihre Marktdominanz zu perpetuieren. So wird fossiles Geschäft zum Wettbewerbsvorteil für neues Geschäft. Schlimmstenfalls diktiert die etablierte Branche dadurch sogar die Geschwindigkeit der Transformation selbst. Hinzu kommen dann auch noch regulatorische Fehlentwicklungen wie das Design des Strommarkts, das vollkommen unnötig weitere Gewinne mit Erzeugungsformen ermöglicht, deren Herstellungspreise nicht oder kaum betroffen sind.

 

Niemand sollte sich davon blenden lassen, dass diese Preise und Margen auch die Erneuerbaren Energien fördern. Das stimmt zwar, ist aber zu kurz gegriffen. Mit diesen Margen werden Strukturen gefördert, die sich nicht mehr in einem wirksamen Wettbewerb befinden und dabei sind, die zukünftige Energieversorgung sowie deren Aufbau maßgeblich zu bestimmen. Das betrifft auch die Wettbewerbssituation der Europäer, denn es wäre sehr kritisch zu prüfen, ob diese Entkopplung von Beschaffungspreisen und Endpreisen auch in anderen Teilen der Welt zu sehen ist. Dazu sind die Daten noch zu unklar, aber es sieht leider sogar so aus, dass es in den USA und in China sowie bei größeren Verbrauchern wie Indien etc. nicht oder nicht in dem Maße feststellbar ist. Kommen diese gigantischen Gewinne also gar überwiegend aus Europa?

 

Das ist ein dickes Brett und es erfordert viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit als der dumme Streit über die Erzeugungsformen. Nur politischer Druck aus der Breite der Gesellschaft kann diese Macht wirklich durchbrechen. Das weiß die fossile Energiewirtschaft natürlich ganz genau, der fehlgeleitete Streit wird maßgeblich von deren Lobby befeuert, um uns in eine Debatte zu verstricken, die von den essentiellen Themen nur ablenkt. Da werden Studien und prominente Multiplikatoren finanziert, um uns in einen Streit über neue Energieerzeungsformen zu verstricken, während diese Industrie das längst selbst aufbaut – aber zu deren Tempo und deren Konditionen. Die Fanboys fossiler Energien dürfen sich an der Stelle mehrfach getäuscht sehen!

 

Ich finde dagegen übrigens die Lobby der Erneuerbaren schon fast zahnlos und teilweise strategisch überfordert. Es ist falsch, diese Margen nur deshalb zu begrüßen, weil die eigene Klientel davon auch profitiert. Die Wettbewerbsnachteile für neue Anbieter im Energiesektor sind nie ausreichend kompensiert worden, nun verschieben sie sich mit Hochdruck wieder in die falsche Richtung.

 

Die Marktstrukturen müssen in den Fokus – auch in der Öffentlichkeit. Es geht nicht, dass wir uns dauernd von Ökonomen beruhigen lassen, es handle sich hier um „freie Märkte“ und die müsse man zulassen. Das ist verkürzter Unsinn, hier sind seitens der führenden Unternehmen und auch der Förderländer über Jahrzehnte tiefere Strukturen geschaffen worden, die wir nicht mehr mit Lehrbuchökonomie und ordnungspolitischen Ideen aus den 80ern erklären, geschweige denn beantworten können.

 

Wir müssen sogar, was bisher in der europäischen Ökonomie sträflich vernachlässigt wird, zwischen unseren Marktstrukturen und denen im Rest der Welt viel klarer unterscheiden, um die globalen Wirkmechanismen besser zu verstehen. Es waren keineswegs nur russische Unternehmen, die ihre Netzwerke aufgebaut haben. So lässt sich auch besser verstehen, ob und wenn ja welche Importabhängigkeiten wir über genau welche Erzeugungs- und Handelsstrukturen akzeptieren können. Wer erkennen will, wie weit wir von der notwendigen Transparenz entfernt sind, muss nur bei der Wasserstoffwirtschaft tiefer graben und prüfen, welche Unternehmen in den Kanzler-Maschinen sitzen, sobald weltweit über Wasserstoff-Importe verhandelt wird. Selbst Saudi-Aramco will in diese Branche eintreten und wer uns tatsächlich erzählt, wir sollten so viel Wasserstoff wie möglich für verschwenderisch viel Primärenergie verbrauchen, die wir selbst nicht haben, wäre an der Stelle auch mal interessant.

 

Die Frage ist die vom Anfang der Marktreformen: Solche Oligopole und Kartelle muss man entweder akzeptieren, sie dann aber entsprechend regulieren – oder sie sind effektiv zu zerschlagen. Letzteres war mal das Ziel, aber wenn man dazwischen stehen bleibt, hat man die schlechteste aller Welten.

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