AT: Verschwörungsmythen und Bildungsniveau beeinflussen antisemitische Einstellungen

Podium von links: IFES Studienleiterin Eva Zeglovits, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Braintrust Projektkoordinator Thomas Stern Copyright: Parlamentsdirektion/Anna Rauchenberger
Podium von links: IFES Studienleiterin Eva Zeglovits, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Braintrust Projektkoordinator Thomas Stern Copyright: Parlamentsdirektion/Anna Rauchenberger

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                               Podium von links: IFES Studienleiterin Eva Zeglovits, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Braintrust Projektkoordinator Thomas Stern Copyright: Parlamentsdirektion/Anna Rauchenberger   

 

Der Glaube an Verschwörungsmythen, Bildung und Wissen über Jüdinnen und Juden sind wesentliche Einflussfaktoren auf Antisemitismus. Das hat die Antisemitismusstudie 2022 ergeben, die das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) gemeinsam mit Demox Research im Auftrag des österreichischen Parlaments durchgeführt hat. Die heute präsentierte Studie stellt eine Fortsetzung der Antisemitismusstudien 2018 und 2020 dar und liefert so Daten, die einen Zeitvergleich zulassen.

 

Sobotka: Antisemitismus ist eine Gefahr für die Demokratie

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betonte bei der Präsentation der Studienergebnisse, dass Antisemitismus ein Jahrtausende altes Phänomen sei, das aus der Mitte der Gesellschaft komme. Heute zeige sich Antisemitismus verstärkt im Internet. All das mache es herausfordernd, antisemitische Einstellungen zu bekämpfen. Es brauche daher eine gute Datenbasis, um geeignete Maßnahmen zu setzen, sagte der Nationalratspräsident. Die Antisemitismusstudie soll dazu einen Beitrag leisten.

Die Forschung habe bisher klar gezeigt, dass Antisemitismus auch eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Der Zugang des österreichischen Parlaments sei daher, antisemitische Einstellungen zu bekämpfen und so die Demokratie zu stärken. Sobotka führte Gedenkveranstaltungen, den Simon-Wiesenthal-Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und Workshops in der Demokratiewerkstatt des Parlaments als Beispiele für weitere Initiativen in diesem Bereich an.

 

Einflussfaktoren auf Antisemitismus

Als wesentliche Einflussfaktoren auf Antisemitismus hat die Studie den Glauben an Verschwörungsmythen, Bildungsunterschiede und das Wissen über Jüdinnen und Juden identifiziert, fasste Studienleiterin Eva Zeglovits (IFES) die Ergebnisse zusammen. Auch das Alter und die Migrationsgeschichte der befragten Personen haben teilweise Auswirkungen auf ihre antisemitischen Einstellungen.

 

Je mehr die Befragten an Verschwörungsmythen glauben, desto stärker sind sie antisemitisch eingestellt, brachte die Studie hervor. Das trifft auch dann zu, wenn die Verschwörungsmythen per se nichts mit Jüdinnen und Juden zu tun haben. Menschen mit höherem Bildungsgrad drücken deutlich weniger Zustimmung zu antisemitischen Aussagen aus, wobei häufig die Matura den entscheidenden Unterschied macht. Noch mehr als der formale Bildungsabschluss wirkt sich die informelle Bildung bzw. das Wissen über Jüdinnen und Juden auf antisemitische Einstellungen aus. Menschen mit Basiswissen – etwa zur Anzahl der im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden, zu jüdischen religiösen Festen oder zur Fläche Israels - sind deutlich seltener antisemitisch eingestellt als jene, die nicht über dieses Wissen verfügen.

 

Antisemitismus in fünf Erscheinungsformen

In der Studie wurde die Zustimmung zu bestimmten, auf Jüdinnen und Juden bezogenen Aussagen abgefragt und so Antisemitismus in fünf verschiedenen Erscheinungsformen ermittelt. Beim sogenannten Verschwörungsantisemitismus erhalten Verschwörungsmythen, die die Existenz weltweiter jüdischer Netzwerke unterstellen, die höchste Zustimmung: 36 % der Befragten fanden die Aussage "Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt" sehr oder eher zutreffend. Der Schuldumkehr-Antisemitismus erhielt eine ähnliche Zustimmung: 36 % fanden die Aussage "Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit Opfer gewesen sind" zutreffend. Niedriger lag die Zustimmung zu den Aussagen des rassistischen Antisemitismus (10 bis 21 %).

 

Beim holocaustbezogenen Antisemitismus lag die Zustimmung zur Extremposition der Holocaustverharmlosung ähnlich niedrig (11 %). Die Abwehr des Gedenkens an Opfer des Nationalsozialismus erhielt hingegen mehr Zustimmung: 34 % bejahten die Aussage "Ich bin dagegen, dass man immer wieder die Tatsache aufwärmt, dass im Zweiten Weltkrieg Juden umgekommen sind". Der israelbezogene Antisemitismus erhielt ebenfalls unterschiedlich hohe Zustimmung. 30 % fanden die Aussage "Die Israelis behandeln die Palästinenser im Grunde auch nicht anders als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden" zutreffend. Dem Satz "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, herrscht Frieden im Nahen Osten" stimmten 14 % zu.

 

Die unbefangene Grundeinstellung zu Jüdinnen und Juden, in der Studie "Non-Antisemitismus" genannt, ist weiter verbreitet als der Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (42 bis 65 %).

Projektkoordinator Thomas Stern (Braintrust) fasste die Ausprägungen von Antisemitismus in drei Gruppen zusammen: den manifesten, den latenten und den Non-Antisemitismus. Laut der Antisemitismusstudie 2022 sind 15 % der Befragten manifest antisemitisch eingestellt, bei 32 % konnte latenter Antisemitismus festgestellt werden. 54 % weisen keine antisemitischen Einstellungen auf.

 

Unter-25-Jährige und Menschen mit Migrationsgeschichte im Fokus

Bei den Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ließ sich kein durchgängiges Muster erkennen. Sie zeigen sich manchmal stärker antisemitisch als die Über-25-Jährigen (etwa bei den Holocaust verharmlosenden Aussagen), manchmal aber auch gleich oder weniger stark. Bildungsinstitutionen, insbesondere durch die Thematisierung im Unterricht, können dazu beitragen, antisemitische Haltungen zu reduzieren, war eine wichtige Erkenntnis der Studie. Aufklärung in der Schule sei wichtig, weil diese Aktivitäten einen starken Einfluss auf die Einstellungen der Befragten haben, betonte Eva Zeglovits.

Die in der Aufstockungsgruppe befragten Personen mit familiärer Migrationsgeschichte aus der Türkei oder aus einem arabischsprachigen Land legten durchgehend eine deutlich stärkere antisemitische Einstellung an den Tag als die österreichische Gesamtbevölkerung. Am deutlichsten wurde das beim israelbezogenen Antisemitismus. Thomas Stern betonte, dass es sich bei den befragten Personen um keinen "monolithischen Block", sondern eine vielfältige Gruppe handle, die differenzierte Antworten gegeben habe.

 

Über die Antisemitismusstudie 2022

Die Antisemitismusstudie 2022 will einerseits mit den Vorgängerstudien vergleichbare Daten liefern und andererseits aktuellen Entwicklungen Rechnung tragen. Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag daher erneut auf dem Einfluss von Verschwörungsmythen auf antisemitische Haltungen, dieses Mal mit Bezug auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und andere aktuelle Herausforderungen wie die Teuerung, den Klimawandel und die Energieknappheit. Von besonderem Interesse waren die Gruppe der jungen Menschen unter 25 Jahren sowie Personen mit familiärer Migrationsgeschichte.

 

Für die Studie wurde eine für Österreich repräsentative Stichprobe von 2.000 Personen über 16 Jahren befragt. Unter-25-Jährige wurden mit einer Fallzahl von 400 bewusst übergewichtet. Zusätzlich erfolgte eine Aufstockung durch Personen mit familiärer Migrationsgeschichte aus der Türkei (491 Personen) bzw. aus einem arabischsprachigen Land (483 Personen). Insgesamt wurden also 2.974 Personen österreichweit mittels computergestützten Telefon- bzw. Web-Interviews befragt. Der Befragungszeitraum erstreckte sich von Mitte Oktober bis Ende November 2022.

 

Die Studie ist abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/fachinfos/rlw/Antisemitismus-2022 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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