RRRrrrr Renners Rasende Randnotiz - Der gelbe Stern

Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)
Alon Renner (Potrait von Olivia Aloisi)

DMZ – KOLUMNE ¦ Alon Renner ¦

 

Der gelbe Stern. Herzlich willkommen zu meiner neuen Kolumne über den Nazi «Judenstern». In Europa wird wieder der gelbe Stern getragen. Als Gesinnungsaccessoire. Nicht ganz so chic und nicht ganz so verbreitet wie damals die Logo Täschchen von Louis Vuitton, aber mit derselben Arglosigkeit und demselben Sinn für Status. War „Jute statt Plastik“ in den 80er Jahren der omnipräsenteste Spruch der sich formenden alternativen und grünen Bewegung, so ist „ungeimpft“ im gelben Stern gerade bei Impfgegnern, Corona Skeptikern und Verschwörungstheoretikern der letzte Schrei. In ihren Augen wohl wortwörtlich.

 

Der gelbe Stern als Accessoire... Hatten wir dies nicht schon mal? Genau, 2014 musste die Modekette Zara ein Kindershirt aus ihrem Sortiment entfernen. In seinem Onlineshop fanden die Käufer nämlich ein ganz auserlesenes Oberteil: Blau-weiß gestreift, die langen Ärmel modisch geschnitten. Der gelbe Stern groß über die linke Brustseite gestickt. Laut Beschreibung sollte das gestreifte Hemd mit Stern ein „Sheriff“ Outfit symbolisieren. Das Shirt erinnerte jedoch viele Nutzer an die Kleidung von Gefangenen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Kein Wunder war der Aufschrei gross.

 

Mangelndes Geschichtsbewusstsein, pure Ignoranz, rechter Fanatismus und der Missionseifer einer unheiligen Allianz aus Esoterikern, bildungsfernen Schichten, Verschwörungstheoretikern und Rechtsnationalen setzt einen neuen Trend: die Umdeutung von Symbolen der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zu ihren Zwecken!

 

Suggeriert wird, dass die Impfgegner und Corona Skeptiker «die Juden» von heute

seien. Also stigmatisiert, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, verfolgt und vernichtet werden. Im Gegensatz zu den Juden, die den Stern ab dem 01.09.1941 im ganzen Deutschen Reich und allen besetzten Gebieten tragen mussten, wird der neumodische Schmuck selbstverständlich nach der behördlich bewilligten Demonstration wieder abgelegt. Seit Mitte März 2020 sind praktisch durchgehend alle Grossveranstaltungen verboten. Es ist sogar so, dass zurzeit sämtliche Veranstaltungen verboten sind. (TheKonzerte, Sportanlässe, etc.) Und dies seit Monaten. Demonstrationen hingegen sind erlaubt. So, dass die vermeintlich Unterdrückten, Deportierten und von der Ausrottung bedrohten Impfgegner von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen können und zu Tausenden auf die Strasse gehen dürfen. Und dies sehr oft ohne Masken. Obwohl hierfür eine behördliche Pflicht besteht. Und wir anderen befürchten müssen, dass durch solche Grossaufmärsche die neuen Mutationen des Virus erst recht verbreitet werden. Die Polizei derweil greift oftmals nicht ein. Sondern schaut zu. Langsam, zu langsam, formiert sich Widerstand. Die Behörden verweigern nun die Bewilligungen für solche Aufmärsche. Zuschauen durften wir jetzt aber ein ganzes Jahr lang. Denn sie sind populär. Nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa.

(Und wohlverstanden, ich bin nicht gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechts. Sondern gegen die Durchführung von Veranstaltungen bei denen tausende mutwillig keine Masken tragen.)

 

Grosse Lust, diese Kolumne zu verfassen, verspüre ich keine. Denn ich mag nicht Euer Jude sein. Ich bin nicht wirklich religiös und mein Thema ist das Judentum nur am Rande. Dann, wenn es Sinn macht. Dies hier empfinde ich auch nicht als meinen Job. Es ist der Job der Schweizer Zivilgesellschaft, der Medien und der Regierung. Und nicht der Nachfahren der Opfer. Denn ein Teil der Bevölkerung fanatisiert sich zunehmend. Und das tangiert alle.

 

Viel lieber hätte ich wie geplant, «Hinter den Kulissen – Teil II» geschrieben. Meine Dermatologin, die das Lektorat betreibt, hatte ich Euch ja schon vorgestellt. Nun hätte ich Euch gerne das Wirken und Tun von Olivia Aloisi, meiner Illustratorin, nähergebracht.

 

Leider kam Liestal dazwischen. Liestal und seine Corona Demonstration. Liestal als Hashtag und seine siebentausend geistig verwirrten Teilnehmer. Wie manch andere auch, schrieb ich letzte Woche den Hashtag «NoLiestal» fein säuberlich auf ein Schild und verbreitete es auf Facebook und Instagram. Was man halt tut, wenn man fassungslos auf ein Spektakel blickt, dessen Sinn sich einem beim besten Willen nicht erschliessen mag.

 

Nie im Leben hätte ich aber damit gerechnet, dass sich N aus meiner Blase melden würde. Zuerst in der Kommentarspalte, in der sie für die Meinungsfreiheit der Demonstrierenden warb und dann bei mir direkt. Sich darüber beklagend, dass meine Freunde und Bekannten nicht nett mir ihr umgesprungen seien. Als ich ihr via Messenger schrieb, dass sie die Meinungsfreiheit der anders als sie Denkenden schon aushalten müsse, wenn sie sich mit Corona Skeptikern und Holocaust Verharmlosern solidarisiere und ich nur aufgrund meiner Familiengeschichte in der Schweiz leben würde – 1945 fanden meine Grossmutter, mein Vater und mein Onkel nach der Internierung im KZ Bergen Belsen Asyl in der Schweiz – bekam ich nebst Auszügen aus dem Nebelspalter zu lesen, dass ihr Deutscher Grossvater ebenfalls schwer verwundet aus dem Krieg zurückgekehrt sei.

Bevor ich sie nun auf FB sperre, möchte ich ihr diese Kolumne widmen. Und die untenstehenden Zeilen. Inklusive einer Playlist. Wenn schon Holocaust, dann richtig.

 

Die Geschichte des gelben Sterns

Liebe N, dies ist kein Fantasy Roman, dies ist nicht Star Wars und auch nicht Star Trek. Hier gibt es kein Happy End. Dies ist die Geschichte, wie Deine Vorfahren die Juden im Deutschen Reich mittels eines gelben Stofffetzens massenhaft einsammeln und in den Konzentrationslagern vergasen konnten. Am 19. September 1941 trat die «Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden» in Kraft. Sie verpflichtete die Juden im Deutschen Reich und allen besetzten Gebieten zum Tragen eines gelben Sterns. Für ihre Träger bedeutete dies soziale Isolation, Stigmatisierung und Diskriminierung. Entrechtung und Ausgrenzung erfuhren damit eine weitere Steigerung. Denn schon seit 1933 hatten diverse Gesetze und Erlasse für die massive Einschränkung des Lebens jüdischer Mitbürger gesorgt. Die Einführung des gelben Davidsterns, in der NS-Propaganda «Judenstern» genannt, war eine der letzten Massnahmen der Nationalsozialisten bevor sie mit den Deportationen in die Konzentrationslager begannen.

Das gelbe Abzeichen, dem Davidstern nachempfunden, mussten alle Juden ab sechs Jahren sichtbar auf der linken Brustseite der Kleidung tragen. Die Aufschrift «Jude» war so gestaltet, dass sie die hebräische Schrift ins Lächerliche zog.

 

Bei der Wahl des herabwürdigenden Symbols griffen die Nationalsozialisten auf die Jahrhunderte alte Tradition des Antisemitismus in Europa zurück. Bereits im Mittelalter mussten sich Juden Kleidervorschriften unterziehen. Diese wurde von Ort zu Ort ganz unterschiedlich festgelegt, dienten aber immer der öffentlichen Kennzeichnung und damit dem Ausschluss aus der Mehrheitsbevölkerung. Wir sprechen von gelben Flecken und Fetzen an der Kleidung, Ringe an den Fingern oder dem sogenannten Judenhut.

 

Wer den Nationalsozialistischen «Judenstern» nicht ordnungsgemäss trug oder ihn zu verdecken suchte, wurde verhaftet und in ein Konzentrationslager abgeschoben. Ab dem 13.03.1942 wurden auch von Juden bewohnte Wohnungen mit Davidsternen kenntlich gemacht. Durch den gelben Stern waren Juden äusserlich gekennzeichnet und mussten somit immer mit Diskriminierung oder antisemitischen Angriffen in der Öffentlichkeit rechnen.

 

Bereits nach der Machtübernahme 1933 hatten die Nazis an eine Markierung für die Juden gedacht. Dieses Vorhaben wurde aber immer wieder verschoben, denn man fürchtete um das Ansehen im Ausland. In den Konzentrationslagern allerdings wurden jüdische Häftlinge schon ab 1933 mit einem gelben Dreieck versehen.

 

Nach dem Angriff auf Polen und dem Beginn des zweiten Weltkrieges fielen dann alle Hemmungen.

Die schrittweise Entrechtung und Ausgrenzung der Juden begann schon früh im Nationalsozialistischen Staat. Immer neue Gesetze und Verordnungen hatten entwürdigende Auswirkungen auf ihr Leben. Durch Berufsverbote und Enteignungen von Geschäften und Liegenschaften wurde ihre wirtschaftliche Existenz nach und nach vernichtet. Sie wurden aus dem öffentlichen Leben gedrängt: für Juden bestanden Ausgehbeschränkungen, Kinder durften keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, das Betreten von Theatern, Kinos oder Museen war ihnen untersagt. An den Restaurants und Bars hingen Schilder mit der Warnung: «Juden sind hier unerwünscht». Ja sogar das Sitzen auf Parkbänken war ihnen verboten. Denn dort hatten die Nazis Inschriften mit dem Slogan: «Nur für Arier» angebracht.

 

Ab Oktober 1938 mussten alle Juden ihre Reisepässe abgeben. Neue Ausweise erteilten die Behörden nur begrenzt, gekennzeichnet waren sie mit einem eingestempelten «J». Ab Anfang 1939 mussten Juden Kennkarten bei sich führen und einen Zwangsvornamen annehmen. Männer erhielten den Zusatz «Israel», Frauen den Namen «Sara».

 

Zusammen mit dem gelben Stern wurden im September 1941 weitere Massnahmen beschlossen. Juden durften ihre Wohnbezirke ohne eine polizeiliche Genehmigung nicht mehr verlassen. So war ihnen die Flucht versperrt. Diejenigen, die eigene Wohnungen oder Häuser besassen, mussten andere Familien bei sich aufnehmen. Denn «Arische» Vermieter konnten ihren jederzeit fristlos kündigen. Die Folge war das Zusammentreiben der jüdischen Bevölkerung in sogenannte Judenhäuser. Jeder Wohnungswechsel musste durch die jüdischen Gemeinden genau festgehalten werden. Diese räumliche Zusammenlegung, Registrierung und Kennzeichnung der Juden bot den Nationalsozialisten die Möglichkeit zur perfekten Überwachung. Und letztlich, die planmässige Deportation und Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa. Denn schon einen Monat später, begannen die Deportationen...

 

Facebook: Alon Renner

Instagram: alon_renner

RRRrrrr proudly presents:

 

Die Ultimative Holocaust-Playlist!

Die 11 stimmigsten Kompositionen aller Zeiten über und passend zum Holocaust.

 

Dmitri Klebanov: Symphony No. 1 «Babi Yar»

https://www.youtube.com/watch?v=nh5q3mGLTj4&t=68s

Steve Reich: Different Trains

https://www.youtube.com/watch?v=1E4Bjt_zVJc&t=129s

The Beauty That Still Remains: The World Transformed II

https://www.youtube.com/watch?v=p-7uHSD-uSw

Schindler’s List: Soundtrack

https://www.youtube.com/watch?v=XNSsv86lsok

Placebo: Holocaust

https://www.youtube.com/watch?v=8qzW-0krt1g

Timna Brauer & Elias Meiri Ensemble: Undzer Shtetl brennt

https://www.youtube.com/watch?v=TN6_ku00Kzk

Francesco Guccini: Auschwitz

https://www.youtube.com/watch?v=GaR_1K2uGUs

Theodorakis-Farantouri: 2 Songs from Mauthausen

https://www.youtube.com/watch?v=l7wuRxbLbKE

Neutral Milk Hotel: Holland, 1945

https://www.youtube.com/watch?v=XLaFLztnL84

Say Anything: Alive With The Glory Of Love

https://www.youtube.com/watch?v=PFR5s96jGeg

The Sex Pistols: Belsen Was A Gas 

https://www.youtube.com/watch?v=uMimkHKcMrQ


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Kommentare: 1
  • #1

    fritze (Sonntag, 04 April 2021 20:44)

    krass!!!!!!!!!